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- SUMMER BREEZE 2023
- Samstag 19.08.2023
- Freitag 18.08.2023
- Mittwoch 16.08.2023
- Donnerstag 17.08.2023
Das Festivalgelände lechzte nach Stiefeln, Plüschsohlen, Sandalen und baren Füßen. Anders ausgedrückt: Die Öffnung rückte näher! Das alljährliche Einlassritual, einem menschlichen Massenstart gleich, vollzog sich auch 2023 in wilden Staubwolken, als etliche Gäste zum Merchstand rannten – bis auf einen, der sich für eine andere Richtung entschied und wirkte, als würde er vor etwas flüchten. Vorher grölten und pfiffen die Wartenden in den metallenen Schleusen, auf denen die bratenden Sonnenstrahlen reflektierten, während eine knallrote Mülltone kurz crowdsurfen durfte. „Lasst uns rein“, schallte es aus vorfreudigen Kehlen. „Summer Breeeeeezeee!“ Ja, es liegt schon immer viel Magie in der Luft, wenn es am Mittwoch so richtig losgeht. Beim Run setzte sich ein Flitzer (bekleidet) vorn ab. Weit hinter ihm verlor ein anderer erst seinen Hut, dann den Anschluss. Die Türen sind offen – so lasset das Spektakel beginnen! Und musikalisch kann das nur heißen: BLASMUSIK ILLENSCHWANG. Traditionen sind wichtig. Ganz im Gegenteil zur Aktion eines Herren mit Kilt, der im Fotograben per Handstand bewies, dass er nichts drunter trug – joa, danke, etwas zu viel Information, hätte nicht sein müssen. Es ist einfach genial und jedes Mal ein Gänsehautfaktor, wenn sich das Infield mit buntem Leben füllt. Wenn Menschen (und einige Plüschtiere in Menschenform) aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichen musikalischen Vorlieben friedlich, freundlich und fröhlich miteinander feiern. Einige von ihnen stellten sich schon für die Autogrammstunde von MEGADETH an. Ein Blick in die Zukunft wäre hier wahrlich hilfreich gewesen, denn die Band sagte die Signing Session kurz vorher ab. So standen etliche umsonst sehr lange in einer imposant langen Warteschlange in der prallen Sonne. Sorry, Leute!
KATAKLYSM rissen nicht nur die Hütte ab, sondern machten auch den „Security-Stress-Test”, wie Maurizio Iacono seine Aufforderung bezeichnete, zahlreich gen Bühne zu surfen. Einen deutlich unschöneren Einsatz hatten die Secus später beim Gig von BLEED FROM WITHIN: Als ein Mann im Pit zu Boden ging, erkannte die Band schnell, dass es ernster war, und unterbrach den Song, sodass die Sanitäter*innen und Secus den Unglücklichen behandeln konnten. Wir wünschen gute Genesung!
Nach dem verheerenden Getrümmer der Kanadier KATAKLYSM (zu dt.: Katastrophe, Überschwemmung) stand uns der Sinn nach etwas gediegeneren Klängen. Unser Weg übers Infield führte uns erst zur T-Stage, wo MALEVOLENCE aus Sheffield aufspielten. Die wurden vom Veranstalter mit den Attributen „brutal!“, „die fettesten Riffs!!“ und „die dicksten Klöten!!!“ angekündigt. Holla, die Waldfee. Also schnell weiter zur Wera Tool Rebel Stage: Dort spielten die Belgier SCHIZOPHRENIA auf – allerdings boten diese nicht nur garstigen Death-Thrash dar, sondern ließen in ihren Ansagen auch Unflätigkeiten im Dutzend ab.
Nüscht wie weg und zurück zur Main Stage. Und dort hellten sich unsere Mienen bei dem glockenhellen Gesang von Simone Simons auf: Was gibt es Schöneres als EPICA bei Sonnenschein!? Da schmolzen selbst die härtesten Black-Metaller dahin. Besonderes Augenmerk verdiente zudem Coen Janssen, der an seinem beweglichen Keyboard offensichtlich pro Kilometer bezahlt wurde und sich den Spaß nicht nehmen ließ, sich mit seiner Keytar als Crowdsurfer zu versuchen.
Kurze Verschnaufpause, bis auf der großen Bühne der Headliner MEGADETH spielen sollte. Mittlerweile war es draußen dunkel und die ganz in blau und lila getauchte Bühne entfaltete schon beim Intro „Prince Of Darkness“ ihre ganze Wirkung. Auch der Opener „Hangar 18“ brachte die Menge schnell auf Betriebstemperatur. Allerdings drohte eine kurze Zeit vorher rausgeschickte Gewitterwarnung zum Spielverderber für den Auftritt zu werden. Nicht mit Mega-Dave und seiner Truppe: Selbst wenn die Performance des rotgelockten Frontmanns am heutigen Abend etwas kraftlos wirkte, schlug die Band das angekündigte Unwetter mit einer Salve „Sweating Bullets“ in die Flucht.
Apropos „kraftlos“ – beziehungsweise eben nicht: Auf der T-Stage enterten im Anschluss die brasilianischen Groove-/Thrashmetaller SEPULTURA die Bretter: Die haben mit Eloy Casagrande nicht nur den Drummer mit dem härtesten Punch in ihren Reihen, und Fronthüne Derrick Green hüpfte wie gewohnt wie ein atomgetriebener Flummi auf der Stage. Zudem zeigte sich Gitarrist Andreas Kisser immer noch geflasht vom Auftritt der Band auf dem Festivalableger SUMMER BREEZE BRAZIL vor einigen Monaten. Nicht zuletzt hat die Band sogar mit „Ali“ einen Song über Boxlegende Muhammad Ali am Start. Mal ehrlich: Stärker geht’s nimmer.
Wobei: Stark war auch der Auftritt von IN EXTREMO, die auf der Main Stage nicht nur eine souveräne Show ablieferten, sondern – noch besser – sogar alte Fans positiv überraschten: „Junge, was war die Band gut!“ Und die Fans zeigten sich nicht erst beim abschließenden Song „Pikse Palve“ extrem textsicher. Das spielte sicherlich mit rein, als sich Sänger Das letzte Einhorn beim Publikum für die jahrzehntelange Treue bedankte und die Show dann mit Pyros und einem Feuerwerk, das von zwei Hydraulikbühnen hinter der Main Stage gezündet wurde ihren Abschluss fand. Jungs und Mädels, war das schön!
Ein kurzer Abstecher führte uns zur Wera Tool Rebel Stage, wo EXTINCTION A.D. aus Long Island ihren mit Testosteron vollgepumpten Crossover Thrash in die Meute ballerten. Klar, dass der Auftritt ein Mörderspaß wurde, manchem aber auch die letzten verbliebenen Energien abverlangte. Da waren schon der eine oder andere glasige Blick und ein paar unkoordinierte Bewegungen zu sehen. Deshalb hier noch ein Profi-Tipp von langjährigen Festivalgängern: Das letzte Bier sollte auf gar keinen Fall vor dem Gig von U.D.O. getrunken werden. Schließlich ist der mittlerweile 71-jährige Sänger der „Metal-Eater“ und „Madman In A Merry-go-round“. Wenn also einer entscheidet, wann Schluss ist, dann Mr. Dirkschneider. Wer trotzdem noch spät nachts abseits der Main Stage unterwegs war: Entweder gab es noch eine spaßige Show mit NANOWAR OF STEEL oder einen hochenergetischen Abriss der US-amerikanischen Formation CAPRA.
Für alle aber galt: Ab in die Buntkarierten und gute Nacht!
Eine halbe Stunde nachdem die Meute endlich aufs Infield, sich mit Merch versorgen und akklimatisieren durfte, ist es Zeit für eine richtige Begrüßung. Die ist auf dem SUMMER BREEZE traditionell und zünftig: Zeit für die Publikumslieblinge der BLASMUSIK ILLENSCHWANG. Das Infield vor der T-Stage war jedenfalls proppevoll gefüllt und zahlreiche Anfeuerungsrufe gingen durch die Reihen, als die vielköpfige Blechblaskapelle endlich die Bühne betrat. Und sie hatte die Menge vom ersten Ton an im Griff: „Grüß Gott, ihr Freunde aus nah und fern“, tönte es von der Bühne, „es ist so schön bei euch. Wir hab’n euch gern.“ Das wurde mit Schunkeln und einem fröhlichen Moshpit quittiert, und auch die ersten Crowdsurfer ließen nicht lange auf sich warten. Als die Fans schließlich „Ausziehen!“ skandierten, spornt das die in blütenweiße Hemden und weinrote Westen gekleideten Musikanten erst recht an: Sie schmetterten der Crowd mit dem „Kufsteiner Lied“ und „Auf der Vogelwiese“ die wohl schönsten Melodien auf dem gesamten Festival entgegen. Fehlte noch was? Nein, denn es dauerte auch nicht lange, bis es sich vor der Bühne eine ganze Schar Fans im Schneidersitz gemütlich gemacht hat, um im Uffta-Takt zu rudern. Wie heißt es in den dargebrachten Volksliedern doch so schön: „Seid fröhlich und vergnügt, weil das die Stimmung hebt.“ Na eben.
Als sich die Sonne allmählich verabschiedete und EPICA ihren beeindruckenden Bühnenaufbau hochzogen, kam am Mittwoch das erste Mal Headliner-Feeling auf. Bereits das mit seiner Epik bestens zum Bandnamen passende Intro verursachte Jubel auf dem sich füllenden Infield. Die Aufforderung „Make some fucking noise“ von Fronterin Simone Simons wäre daher gar nicht nötig gewesen. Der Band gelang ein sehr dynamischer Einstieg, der das Set energiegeladen auf seinen Weg brachte. Die Interaktion innerhalb der Band war einer der größten Hingucker und konnte bestens mit der Maschinerie mithalten, die zur visuellen Unterstützung aufgefahren wurde. Neben einer auf die Songs abgestimmten Video-Show auf der Leinwand zogen vor allem die mehrere Meter hohen, Feuer und Rauch speienden Stahlkobras die Blicke auf sich. EPICA selbst bestachen derweil durch eine punktgenaue Performance und eine sympathische Lockerheit. Keyboarder Coen Janssen zeigte sich dabei als der wohl mobilste Vertreter seiner Zunft. Nicht nur, dass er mit seinem Keyboard auf Schienen über die Bühne fegte, er nahm auch oft die Keytar zur Hand und führte diese sogar für eine kleine Crowdsurf-Einlage ins Publikum aus. Dieses ließ sich mit Vergnügen mitreißen und belohnte die Band seinerseits mit reichlich Crowdsurfen, Pits und einer Wall of Death. „Ihr seid einfach nur geil,“ fand Simone Simons. Textsicher zeigte sich die Menge ebenfalls, vor allem bei EPICA-Klassikern wie „Consign to Oblivion“, das den Abschluss machte. Die ausgedehnte Verabschiedung im Anschluss genossen sowohl Band als auch Publikum sichtlich.
Am Mittwochabend gab es auf der Wera Tool Rebel Stage eine Premiere: die multinationale Band AD INFINITUM, die in diesem Frühjahr mit ihrem bereits dritten Studioalbum von sich reden machte, feierte ihr Debüt auf dem SUMMER BREEZE und hinterließ gleich ordentlich Eindruck. Spätestens nach diesem Auftritt ist klar, dass AD INFINITUM den Status Geheimtipp lange hinter sich gelassen haben. Bereits bei Beginn des Sets war trotz leichter Sounddefizite der Zuschauerandrang so immens, dass der überdachte Bereich vor der Bühne nicht ausreichte um alle darunter aufzunehmen. Die Crowdsurfer machten sich schon während des ersten Songs auf den Weg in die bereitwillig gereckten Arme der Grabenschlampen, die Stimmung war von Beginn an grandios. Die gutgelaunte Fronterin Melissa Bonny, die erst vor kurzem in den Hafen der Ehe einlief, hatte die Massen hervorragend im Griff und erfreute mit Klargesang und Growlparts auf höchstem Niveau. Auch ihren Bandkollegen konnte man die Spielfreude ansehen, die sich spürbar auf das Publikum übertrug, welches den Funken auffing und bereitwillig zurückgab. Dies kommentierte Melissa Bonny denn auch sichtlich ergriffen mit „SUMMER BREEZE – this… THIS is energy!“. Nach energiegeladenen vierzig Minuten verließen AD INFINITUM die Bühne mit Dank an die “craziest crowd“ die sie bisher live erleben durften.
Zeit für den ersten Headliner auf dem diesjährigen SUMMER BREEZE Open Air: Die amerikanischen Thrash-Metal-Legenden MEGADETH gaben sich die Ehre. Und direkt der Einstieg war ein Kracher: Als „Hangar 18“ ertönte, war wegen der technischen Passagen direkt Alarm auf und wegen des Klassikerstatus des Songs auch vor der Bühne. Statt zwischen den Stücken auf Ansagen zu setzen, ließ der Vierer die Musik sprechen: Jedenfalls folgte mit „Angry Again“, „Sweating Bullets“ und „Wake Up Dead“ ein Klassiker auf den nächsten. Was auffiel: Der in einem weißen Hemd gekleidete Dave Mustaine überließ viele seiner Soli seinem Kollegen Kiko Loureio, und auch sonst presste der rotgelockte Frontmann seinen Gesang nicht ganz so hasserfüllt zwischen den Lippen hervor wie gewohnt. Dafür waren seine Kollegen mit umso mehr Bewegung und Elan unterwegs: Drummer Dirk Verbeuren gab an seinen Kesseln den präzisen Antreiber, Bassist James LoMenzo tigerte mit seinem ärmellosen „Make America Punk Again“-Shirt ruhelos über die Bühne und Kiko Loureio… Was der brasilianische Flitzefinger nicht nur bei seinen Soloparts ablieferte, hinterließ zahlreiche offene Münder. Nach dem All-time-fave „A Tout Le Monde“ ließen MEGADETH mit ihren Songs sowieso nichts mehr anbrennen: Da wurde die „Symphony Of Destruction“ gefeiert, da wurde beim Klassiker „Peace Sells“ aus vielen Kehlen mitgesungen. Nach „Mechanix“ und einer längeren Pause, bei der die Bühne lediglich in blaues und lila Licht getaucht war, kam der Frontmann alleine wieder auf die Bühne und bedankte sich unter Jubel bei der Menge. Und auch wenn kein Mikrofon seine Worte übertrugen: Das „I love you!“ konnte wohl jeder im Publikum von seinen Lippen ablesen. Fehlte mit „Holy Wars… The Punishment Due“ noch ein abschließender Hit, der in der Meute nochmal Energien freisetzte. Worauf Dave Mustaine der Menge zum emotionalen Abschied ein „passt auf euch auf, wir wollen uns alle wiedersehen!“ zurief.
CAGE FIGHT aus London mischten die Party Stage dann mal so richtig auf. „This Is Cage Fight!“ Direkt und ohne viel Drumherum wirbelte Fronterin Rachel Aspe mit ihren Schlumpf-blauen Haaren über die Bühne. Der eigene Stempel „Vicious Hardcore/Thrash/Crossover“, den sich die Band verpasst hat, ist Gesetz, denn CAGE FIGHT versetzt mit einer griffigen Hardcore-Attitüde die Nackenmuskulatur der amtlichen Menge, die sich vor der Bühne befindet, ordentlich in Spannung. Ein „Summer Breeze loves you!“ aus der Crowd gerufen und Beifall sind das Resultat.
So schnell will man die Band dann nach ihrem regulären Set gar nicht von der Bühne lassen. „One More Song“, wird immer wieder gefordert und auch geliefert. Tracks wie „Guillotine“ und „One Minute“ lassen den ein oder anderen Violent-Dancer in der Menge verzückt seine Lufttritte machen und Fronterin Rachel genießt grinsend den Anblick. Die Crossover/Hardcore-Sause von Cage Fight bringt mit ihrem energiegeladenen Set zum Ende sogar noch einen feinen, stabilen Circle Pit zum Drehen. Well done!
Nachdem Björn „Speed“ Strid bereits bei BLEED FROM WITHIN einen marginalen Kurzauftritt hatte und zwei, drei Screams in die Menge schickte, sollte er im Anschluss mit seiner Combo SOILWORK nochmals richtig einheizen und sogar im späteren Verlauf eine entsprechende Retourkutsche erhalten. „Stabbing The Drama“ und „The Chainheart Machine“ waren im Anschluss wenige Old-School-Tracks eines eher modern gehaltenen Sets der Schweden mit zentralem Fokus auf deren aktueller Platte „Övergivenheten“. Überzeugen konnte das Sextett wie gewohnt einerseits durch die stimmliche Bandbreite von Strid, sowie die tollen Leads des Gitarrenduos aus Sylvain Coudret und Simon Johansson. Dabei ist der Truppe anzumerken, dass man sich mittlerweile schon seit fast 30 Jahren im Geschäft befindet und demnach einen insgesamt enorm routinierten Eindruck machte. Dies hielt genau bis zum Song „Death Diviner“, bei dem dann Scott Kennedy der bereits genannten BLEED FROM WITHIN auf die Bühne kam und offensichtlich mehr oder weniger ungeplant einen guten Teil des Songs mitperformte. Zuvor nutzte Strid die Zeit, um über die Verbindung der beiden Bands aus dem Jahr 2010 aufzuklären. Danach fanden SOILWORK hingegen wieder in ihre saubere Linie und beendeten den bestens besuchten Auftritt mit den Stücken „Nerve“ und „Stålfågel“. Bezeichnend, dass der Monitor zwischenzeitlich genau bei einer Pose des Fronters einfror, als er seinen Blick in die Menge schweifen ließ.
Noch mehr Kapuzen? Schon wieder Masken? Ja, her damit! VORGA ergänzen noch ein anderes Stilmittel: Licht. So brachte die multinationale Band mit Mitgliedern aus Großbritannien, Bulgarien und Deutschland trotz angeschwärzter Musik viel Farbe in die anschwellende Nacht. Das passte gut zu den coolen Promofotos, auf denen sie wie neue Mortal-Kombat-Kämpfer aussehen. Vor Sänger und Gitarrist Пешо Спейса leuchtete ein großes, rotes Pentagramm und in manchen Gesichtern erstrahlte UV-Corpsepaint. Dazu erhellten zwei Lichtsäulen und weitere zwei Leuchten links und rechts vom Drumkit die Stimmung. Generell punktete die gut abgestimmte Lichtshow mit einem starken blauen, lilafarbenen und roten Grundambiente. VORGA wollen Ehrfurcht und Hoffnungslosigkeit vertonen – Gefühle, die wir erleben, wenn wir in den Nachthimmel blicken, heißt es. Doch was spielen sie eigentlich? Black Metal im weiteren Sinne – futuristisch, transzendent, irgendwie dystopisch im engeren. Auf der Bühne lebten die Songs zunächst von ausgeprägtem Midtempo und vordergründigen Melodien, schnellere Parts kamen etwas später. Ein facettenreiches Highlight war „Fool‘s Paradise“, denn die Nummer stampfte deutlich mehr, zog das Tempo ordentlich an und überraschte mit einem knackigen Thrash-Riff.
Keine Frage, MOOR waren am Mittwoch wohl die am wenigsten partytaugliche Band auf der Ficken Party Stage. Mit ihrem schwermütigen Sludge-/Doom Metal brauchten die Hamburger ein wenig, um bis zur Mitte der Show dann doch eine ordentliche Meute mit bangenden Häuptern vor die Bühne zu scharen. Mit zwei Krebsfällen innerhalb der Band, wobei eine im Jahr 2022 zum Tod des ehemaligen Bassers Christian Smukal führte, hat das Quintett eine Geschichte, die durch das düstere Album „Heavy Heart“ nachdrücklich umrahmt wird. Diese Stimmung breiteten MOOR bei ihrem Auftritt in aller Gänze aus und begannen passend mit wehendem Rauch zum Titel „Tears From Acrid Smoke“. In nicht albumchronologischer Reihenfolge folgten darauf die restlichen Titel mit „Breath Like Nails“ als krönenendem Abschluss. Das war die tatsächlich allererste Show der Band die wabernden Rhythmen drangen tief in Mark und Bein und sorgten für den vielleicht düstersten Rahmen des Mittwochs.
Frei nach dem Motto „gut Ding will Weile haben“ ließen IN EXTREMO ihre Fans erst einmal knappe zehn Minuten warten, bis das akkustische Intro erklang und die Musiker ins blaue Bühnenlicht traten. Und natürlich feuerten die Pyro-Batterien schon beim Eröffnungsstück „Troja“ und dem folgenden „Feuertaufe“ – nomen est omen – aus allen Rohren. Wie um ihre anfängliche Verspätung wieder aufzuholen, legten sich die Jungs besonders engagiert ins Zeug und lieferten einen rundheraus überragenden Gig ab. Dass IN EXTREMO seit dem Ausstieg des mittlerweile verstorbenen Boris Pfeiffer zum Sextett geschrumpft waren, tat der Gesamtperformance keinen Abbruch. Eher schien die Band noch geschlossener und tighter zu agieren, während die Stimme von Michael Rhein so frisch klang wie schon lange nicht mehr. Ob der Sänger und seine Mitstreiter einen geheimen Jungbrunnen gefunden oder während der erzwungenen Corona-Auszeit ihre Batterien mal wieder so richtig aufgeladen hatten, konnte den Besuchern egal sein. Was zählte, war die Spielfreude auf der Bühne, die mühelos aufs Publikum übersprang und dort für ordentlich Bewegung sorgte. Obwohl die Band mit „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“ zwischendurch auch ungewohnt politische Töne anschlug, steht die Musik von IN EXTREMO doch für gutlaunige Party-Stücke und das ein oder andere waschechte Trinklied. So blieb bei „Sternhagelvoll“ keine Kehle trocken und es durfte ausgiebigst geschunkelt werden. Vom lauthals mitgegrölten Refrain wollte die Menge gar nicht mehr ablassen und kostete die Musiker so einige Mühe, wieder zu ihrem regulären Programm zurückzukehren. Mit „Frei zu sein“ hatten IN EXTREMO aber bereits die nächste Fanhymne in der Hinterhand und hielten die Stimmung somit gekonnt am Kochen. Ein beeindruckender Circle Pit war ihr Lohn und ließ das Grinsen auf den Gesichtern der Musiker nochmals eine ganze Spur breiter werden. Mit den letzten Klängen von „Pikse Palve“ endete der Gig in einem wahren Pyro-Inferno, an das sich sogar noch ein gewaltiges Feuerwerk über der Bühne anschloss, welches dem Silvesterabend in einer mittelgroßen deutschen Kleinstadt keine Schande gemacht hätte.
Vor wenigen Monaten erst spielten SEPULTURA in ihrem Heimatland bei der ersten brasilianischen Ausgabe des SUMMER BREEZE. Im Rahmen ihrer „Quadra“-Tour machten sie nun auch wieder Halt bei uns in Dinkelsbühl. Sie versprachen neben reichlich Material vom aktuellen Album aber auch ein gutes Pfuns Stücke aus der Bandgeschichte – und dieses Versprechen sollten sie halten. Die Vorfreude des Publikums entlud sich in einem Jubelschrei, als die Pausenmusik verstummte und SEPULTURA ohne jegliche Intro-Umschweife in ihr Set einstiegen. Begeisterung gab es dabei nicht nur bei den Fans hinter der Absperrung, sondern auch beim Malteser-Team davor. Mit „Territory“ lieferten die Urgesteine schon früh einen groove-lastigen Banger vom Album „Chaos A.D.“ aus dem Jahre 1994. Spätestens ab da kam ordentlich Bewegung ins Publikum und die Grabenschlampen traten in Aktion. SEPULTURA-Fronter Derrick Green hatte sich für den Auftritt im Freistaat Bayern offensichtlich auch sprachlich weitergebildet und begrüßte das SUMMER BREEZE anschließend mit „Servus!“ Auf sein „Dankeschön“ erwiderte die Menge geschlossen ein lautes und höfliches „Bitteschön!“. Die Band verlor zu keinem Zeitpunkt in ihrem Set Momentum, servierte ihre tanzbaren sowie schwerer nachvollziehbaren Rhythmen und sorgte ebenfalls für einige musikalische Hingucker. So bestach „Guardians Of Earth“ nicht nur mit einer wichtigen Message – denn es ist den indigenen Völkern und ihrem Überlebenskampf gewidmet, – sondern auch durch einen virtuosen Gitarren-Part zu Beginn. „Agony Of Defeat“ überraschte mit einem für die Band auffällig balladesken Vibe und einigen Clean-Vocals. Das Highlight des Sets war aber natürlich „Roots“, das sich SEPULTURA bis zum Schluss aufsparten und das beim SUMMER-BREEZE-Publikum naturgemäß für Begeisterungsstürme sorgte.
Mit leichter Verzögerung gab sich ein paar Stunden nach Dave Mustaine die nächste Metal-Legende die Ehre auf der Main Stage: Udo „The German Tank“ Dirkschneider. Und damit nach dem Mittelalterexkurs mit IN EXTREMO erst gar keine Fragen nach der Gangart aufkamen prangte auf dem Backdrop im Bühnenhintergrund in riesigen Lettern „Heavy Metal“. Auch in Sachen Bühnenproduktion hielt man es klassisch und setzte auf Boxenwände und Nebelmaschinen. Mit „Animal House“ bekamen die Fans direkt einen Favoriten zu Beginn auf den dann mit „Holy Invaders“ ein neuer Track vom aktuellen Album „Game Over“ folgte. Stimmlich war der mittlerweile tatsächlich 71jährige Dirkschneider direkt vom Start weg voll auf der Höhe, obwohl der Mann sich bis heute nicht einsingt vor seinen Shows – dass er vor seinen Shows mit Rasierklingen gurgelt ist aber wohl auch eher Fake News. Nicht nur vor sondern auch auf der Bühne wurde der Mehrgenerationen-Gedanke gelebt, denn den Takt gab tatsächlich Udos Sohn Sven Dirkschneider vor, der mit beachtlichem Punch auf sein Kit eindrosch. Selbst etwas getragenere Nummern, wie „I Give As Good As I Get“, stießen auf Gegenliebe im Publikum und so wurde die kompakte Stunde zu einer runden Sache, die mit „One Heart One Soul“ einen würdigen Abschluss fand.
Was ist bunt, laut, persifliert was das Zeug hält, macht handwerklich guten Metal und kommt aus Italien? Richtig, NANOWAR OF STEEL! Selbige fanden sich Mittwoch spät abends auf der T-Stage ein, um den anwesenden Zuschauern noch ein paar Flachwitze als Betthupferl mit auf den Weg zum Schlafsack zu geben. Zu den Klängen von “Dislike To False Metal“ kam die Band mit grellbunten Perücken, pinkem Tütü, gelborangem Spandex und überdimensionalen Sonnebrillen auf die Bühne und war schon optisch ein zweifelhafter Hingucker, der die Lacher auf seiner Seite hatte. Musikalisch war auch schnell klar, wo der Frosch die Locken hat. Das muntere Treiben begann mit “Flugtraining auf Italienisch“, in dem die Zuschauer die Arme in die Luft recken und mit den Händen wedeln sollten um zum Song “ Il cacciatore della notte“ Flügelflattern darzustellen. Passend dazu kam während des Songs einer der Sänger im plüschigen Ganzkörper-Eulenkostüm mit riesigem runden Eulenkopf auf die Bühne und flatterte munter um seine Kollegen herum – bei den derzeit herrschenden Temperaturen eine echte Leistung! Die Idee einer “Wall of Love“ an Stelle einer Wall of Death, unterbreitet zur schnulzigen, sonst auf einem Saxophon gespielten und hier auf einer E-Gitarre dargebotenen Melodie von “Careless Whisper“, kam beim Publikum eher gemischt an. Wall of Love bedeutete, man solle sich doch bitte umarmen und küssen statt anzurempeln. Gesagt getan – und das begleitet von einer “romantischen“ Gesangs- und Tanzeinlage zum Refrain von “Careless Whisper“, wobei im Publikum eher Gelächter vorherrschte statt Geknutsche. Es folgte ein etwas zweifelhafter Varg Vikernes/Burzum-Witz, der die Band selbst zu dem Kommentar verleitete, dass sie sich damit wahrscheinlich eine Sperrung bei Facebook und den deutschen Fernsehsendern einhandeln würden. Als vorletzten gab es noch einen deutschsprachigen Song in Form von “der Fluch des Käpt’n Iglo“, bevor zum Abschied auf der Bühne zum Song “Valhallelujah“ fachgerecht ein IKEA-Tischchen zusammengeschraubt und dem Publikum für ein letztes Crowdsurfing übergeben wurde. NANOWAR OF STEEL boten wie erwartet Klamauk am laufenden Band, und sorgten für eine sehr kurzweilige Stunde vor dem Schlafengehen.
Wer sich zu später Stunde zur Wera Tool Stage aufmachte um vielleicht, wie in den Jahren davor, von getragenen Postcore- oder Gothic Metal-Sounds sanft in die Nacht verabschiedet zu werden, wurde derbe überrascht. Denn anstatt einer Gute-Nacht-Umarmung gabs von der Band aus Lafayette, USA, eher einen vehementen Tritt in die Kauleiste! Die kleine Sängerin Crow Lotus strotzte nur so vor Energie und kommunizierte auch eifrig mit dem Publikum. Die Überdachung vor der Bühne erinnerte sie wohl an ein Raumschiff und so forderte sie die begeisterte Crowd auf abzugehen, als wäre das ihre letzte Nacht auf Erden. Die Band gab jedenfalls alles auf der Bühne und selbst der einsetzende Regen tat dem Reigen keinen Abbruch. Mit dem abschließenden „Torture Ship“ war dann wirklich Schicht im Schacht und der zweite Festivaltag – zumindest in Sachen Livemucke – beendet.