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- Summer Breeze 2019
- Samstag 17.08.2019
- Freitag 16.08.2019
- Donnerstag 15.08.2019
- Mittwoch 14.08.2019
Da haben sich ganz offensichtlich zwei Liebende gefunden: Gemeint ist das SUMMER BREEZE-Publikum und das Death Metal-Quintett ENDSEEKER, das den Tag auf der Wera Tool Rebel Stage einläutete. Die Hamburger spielten eine Dreiviertelstunde lang hart groovenden und pumpenden Death Metal schwedischer Bauart und ließen die Meute immer wieder wie Schweizer Messer im Rhythmus zusammenklappen: Widerstand gegen den Headbanging-Impuls war ganz einfach zwecklos. Und die Band lieferte eine tighte und souveräne Show sowie das richtige Maß an Augenzwinkern. Beispiel? Der glatzköpfige Frontmann Lenny (der so ein bisschen wie der lange verschollen geglaubte Bruder von Onkel Fester aussieht) fragte das Publikum, wer denn bereits vor zwei Jahren den ENDSEEKER-Gig auf dem Festival gesehen hatte. „Vor zwei Jahren wurden BHs auf die Bühne geschmissen… Ich möchte ja niemanden beeinflussen!“. Selbst wenn es damit letztlich nicht klappte, gab es aus dem bereits gut gefüllten Zuschauerraum vor der Bühne doch immer wieder ENDSEEKER-Anfeuerungsrufe und einen kleinen, aber feinen Moshpit. Und am Ende nicht nur in der Band bis zu beiden Ohren grinsende Gesichter.
Die erste „richtige“ Band, die die T-Stage nach der Blasmusik Illenschwang, vom BREEZE-Publikum liebevoll „Blast“-Musik Illenschwang getauft, erklomm, waren NAILED TO OBSCURITY. Die Ostfriesen waren zuletzt 2015 auf dem SUMMER BREEZE zu Gast, damals regnete es in Strömen. Vier Jahre später brezelte die Sonne ordentlich auf das langsam eintrudelnde Publikum – das komplette Gegenteil also. Und man muss schon sagen: Melo-Death-Doom kommt eigentlich besser in einem vollgepackten Dunstschuppen, in dem der Schweiß von der Decke tropft. Nichtsdestotrotz: NAILED TO OBSCURITY schafften es mit voranschreitender Spieldauer ihren atmosphärisch dichten Sound an die geneigte Frau beziehungsweise den geneigten Mann zu bringen. Das konnte man nicht nur an den immer mehr Headbanger-Sichtungen festmachen, sondern auch an den wohlwollenden Publikumsreaktionen, die nach jedem Song hörbar lauter wurden. Nur: Als man sich gerade richtig auf Sound eingegroovt hatte, war nach sechs Songs, gefühlten zehn Minuten, schon wieder Schluss. Ein durchweg solider und schmackhafter Auftritt, der leider nicht mit einer Zugabe gekrönt wurde. Aber vielleicht muss man nicht wieder vier Jahre warten, bis sich NAILED TO OBSCURITY wieder die Ehere auf dem SUMMER BREEZE geben.
Es gibt ja viele Bands, die sich neben ihrer Musik auch richtig viel Gedanken über ihr Äußeres machen, sich um ein einheitliches Erscheinungsbild bemühen oder sogar spezielle Bühnenoutfits haben. LOATHE gehören definitiv nicht zu diesen Bands. Den krassesten Kontrast boten auf der linken Seite der Gitarrist und der Basser, die mit ihren langen Haaren und in ihren Outfits (mal abgesehen von den weißen Birkenstock-Sandalen des Gitarristen) auch als motivierte Besucher auf einem Mittelaltermarkt durchgegangen wären und der zweite Gitarrist auf der rechten Bühnenseite. Mit weißem Hemd, Hochwasserhosen, weißer Wollmütze, John Lennon-Sonnenbrille und verschiedenfarbig lackierten Fingernägeln. Aber Abseits von irrelevanten Äußerlichkeiten haben LOATHE vor allem eins: nämlich abgeliefert! Beim ersten Song war sowohl der Sound als auch die Reaktionen im Publikum noch etwas suboptimal – wobei ersteres einfach der Tatsache geschuldet war, dass es sich um einen neuen, noch unbetitelten Song handelte und das mit dem Sound wurde dann auch schnell besser. Beim folgenden „Servant And Master“ fraß das Volk Sänger Kadeem France (der dem jungen Lionel Richie frappierend ähnlich sah!) aber schon willig aus der Hand, der dirigierte das Publikum mit Ansagen wie „This is Loathe – express yourselves!“ souverän und beim dritten Track formierte das Publikum dann auch schon eine erste Wall Of Death. Die melodischen Gesangspassagen des Gitarristen waren aber über die gesamte Show zu leise, was der Leidenschaft auf und vor der Bühne aber keinen Abbruch tat. Beim finalen „White Hot“ war zunächst der Sänger und dann auch noch der Gitarrist an der Absperrung im Graben und suchte den Vollkontakt zu den Leuten bevor das Ganze in einem Finale gipfelte, das man nur als totale Zerfickung beschreiben kann!
Um einem tibetischen Fabelwesen zu huldigen musste man heute nicht einmal in den Himalaya reisen, denn ALL HAIL THE YETI aus Kalifornien gaben sich auf der Ficken Party Stage die Ehre. Ihr Set begann mit munteren Hillbilly-Klängen aus der Konserve, die – abwechselnd mit Sprach-Snippets aus Filmen – immer wieder das Set auflockerten und gekonnt in die Live-Stücke der vier Musiker aus LA überleiteten. Die Spielfreude des Quartetts schwappte schnell auf das zunächst noch überschaubare Publikum über und bereits beim zweiten Song gab es die ersten fliegenden Kopfbedeckungen sowie einen Crowdsurfer – aus überschaubar wurde gut besucht. Der vierte Song „Highway Crosses“ führte gar zum ersten, zunächst noch etwas zaghaften, Moshpit, der bis zum Ende des Sets zu respektabler Größe anwuchs – nicht zuletzt dank der tatkräftigen Hilfe des Frontmannes, der großzügig den der Bühne namensgebenden Schnaps in ihm bereitwillig entgegengereckte Gesichter (und Hälse) goss. ALL HAIL THE YETI veabschiedeten sich mit einer Einladung an den Merch-Stand und baten ihre Fans darum, alles dorthin mitzubringen was Spaß macht („booze, drugs and other stuff“).
Die Todesengel aus der Bay Area warfen das Publikum, das sich in üppiger Zahl vor der T-Stage versammelt hatte, direkt mal vor die Wölfe – DEATH ANGEL eröffneten ihr Set mit „Thrown To The Wolves“ und heizten den Thrash-Ofen damit schon einmal ordentlich an. Allerdings zeigte sich die Crowd zunächst noch etwas verkatert (vermutlich hatte so mancher am Vorabend zu lange gefeiert). Die thrashigen Rhythmen fuhren nur zögerlich in die Nacken der vielen Zuschauer, die das Spektakel aber mit nach und nach wachsender Begeisterung quittierten. Sprich: Mit der Zeit wurde das Publikum wach. „DEATH ANGEL“-Rufe hallten durch das Infield und zauberten nicht nur Fronter Mark Osegueda ein breites Grinsen ins Gesicht. Von anfänglich noch zögerlichem, geradezu höflichem Mitnicken war zum Ende des Gigs nichts mehr zu spüren, als das Publikum mit beherztem Bangen, Moshen und Crowdsurfing immer mehr in Fahrt kam und auch der Band sichtlich Freude bereitete.
Nachdem ALL HAIL THE YETI zuvor einen veritablen Abriss vorgelegt hatte, war es an den Pionieren des deutschen Metalcores HATE SQUAD die Ficken Party Stage zu bespielen. Die Hannoveraner sorgten gleich zu Beginn mit einem Hardcore-Techno-Intro für die ersten Tanzeinlagen und legten, leicht verspätet, mit „Against All Odds“, „Death List“ und dem Titeltrack ihres aktuellen Albums „Reborn From Ashes“ wuchtig nach. Doch natürlich hatten HATE SQUAD nicht nur neue Songs für ihre relativ zahlreich erschienene Anhängerschaft im Gepäck, auch alte Klassiker wie „Bastards“ oder „Different From You“ fanden ihren Weg auf die Setlist. Da durfte „I. Q. Zero“ natürlich auch nicht fehlen, der übrigens von einigen schon nach dem zweiten Song lautstark gefordert worden war. Das Publikum quittierte den Band-Hit schlechthin mit HATE-SQUAD-Chören und einem kleinen, aber feinen Pit. Zum Abschluss wurde dann noch „Self-Defence (Is No Offence)“ in die untergehende Abendsonne geballert, bevor die Spielzeit eigentlich schon ausgereizt war. Wir erinnern uns: HATE SQUAD gingen mit Verspätung an den Start. Und als Sänger Burkhard Schmitt dennoch den eigentlich geplanten letzten Song „Not My God“ ansagte, stand auch schon der Stage-Manager parat, um die Band von der Bühne zu bitten. Doch er ließ Milde walten und so konnten HATE SQUAD ihr Set wie geplant zu Ende bringen. Kleiner Wermutstropfen: Das 1997er-Album „Pzyco!“ wurde leider komplett ausgeklammert.
Mit dem Beginn von INGESTED konnte man für die folgenden etwa zwanzig Minuten das Geschehen auf der Wera Tool Rebel Stage gegen die tiefstehende Sonne lediglich erahnen – mehr brauchte man aber auch nicht. Denn hier standen fünf Jungs aus Manchester auf der Bühne, die ihren technisch äußerst versierten Brutal Death derart unvermittelt und mit aller Gewalt in die Gehörgänge der zahlreich angetretenen Fans drückten, dass man auch ohne den visuellen Kontakt zur Bühne wusste, dass sich das Verweilen lohnte. Mit Lyn Jeffs als ultra-präzisem Herzschlag hinter den Kesseln bespielten INGESTED die komplette Klaviatur des modernen Highspeed-Todesbleis: Slam-Parts und Pigsqueals für die Handwedler, pfeilschnelle Blast Parts für die chronischen Mosher sowie rundlaufende Double-Bass-Teppiche für die Headbanger. Und auch die Crowdsurfer kamen nicht zu kurz, wurde doch ab dem Opener „Sovereign“ immer irgendein Körper auf Händen von hinten gen Bühnengraben getragen. Die höchste Eskalationsstufe erreichten INGESTED dann auch irgendwie folgerichtig beim letzten Song „Skinned And Fucked“, der von einer amtlichen Wall of Death eingeläutet wurde. Da ließ sich auch Fronter Jay Evans ein Bad in der Menge nicht nehmen. Die, zumindest dem Genre nach zu urteilen, heftigste Band des Tages räumte auf ganzer Linie ab.
Wo Björn „Speed“ Strid und seine Night-Flight-Orchestra-Mitstreiter bei ihrem Auftritt im vergangenen Jahr noch absichtlich gegen sämtliche Regeln des guten Modegeschmacks verstoßen hatten, hatte der Sänger für seinen Auftritt mit SOILWORK an gleicher Wirkungsstätte ein wesentlich dezenteres Erscheinungsbild gewählt. Immerhin stand hier aber auch nicht exaltierter Disco-Metal auf dem Programm, sondern handfester Melo-Death, den die Schweden auf gleichermaßen schnörkellose wie perfekte Weise darboten. Kein Wunder also, dass dieser Streifzug durch die zahlreichen Highlights ihres Backkatalogs von einer erfreulich großen Fanschar goutiert wurde, die sich dicht vor der T-Stage drängten. Aufgelockert wurde das Geschehen hingegen von wilden Moshpits und einem nicht enden wollenden Strom an Crowdsurfern, die von den einsatzfreudigen Grabenschlampen breit grinsend in Empfang genommen wurden. Beste Voraussetzungen also für eine kleine Gesangsstunde, die anlässlich des Band-Klassikers „Stabbing The Drama“ eine beeindruckende Stimmfestigkeit der vielköpfigen Fanschar erkennen ließ. Mit dem finalen „Stålfågel“ zementierten SOILWORK schließlich unter dem frenetischen Jubel der begeisterten Menge ihre Ausnahmestellung an der Spitze der internationalen Melo-Death-Szene.
EYES SET TO KILL sind in den Vereinigten Staaten bereits eine recht große Nummer. Die Ficken Party Stage mussten sie laut eigenen Angaben auf dem weitläufigen Campground des SUMMER BREEZE erst einmal finden. Dort hatte sich bereits zu Beginn des Sets des Metalcore-Quartetts eine beachtliche, überwiegend recht junge Zuhörerschaft versammelt. Während sich auf den Brettern AC Bartholomew mit zweifarbiger, kopfloser Gitarre und Alexia Rodriguez mit dem, an ihr leicht überdimensioniert wirkenden, Instrument den Gesang aufteilten, wurde im Publikum alsbald freudig gesprungen und gemosht. Vor allem Rodriguez‘ Gesangsstimme hob den modernen Stilmix von EYES SET TO KILL von zahlreichen Genre-Mitstreitern ab. Dazwischen gaben sich geshoutete Verse, Mitsing-Passagen und rollende Breaksdowns die Klinke in die Hand. Nach einem erfolgreich absolvierten Auftritt empfingen die Bandmitglieder ihre treuen Anhänger noch am Merchandise-Stand, wo sie eigenhändig Shirts verkauften und Lob entgegennahmen.
Doom auf einem Metal Festival ist, wenn richtig zelebriert, etwas Herrliches. Er kann in der Nachmittagshitze nach einem hektischen Tag wahlweise mit oder ohne Kräuterunterstützung die dringend benötigte Entschleunigung bieten oder als perfekter Downer am Ende des mehrtägigen Marathons herhalten. In diesem Sinne war das einzige Manko des WINDHAND-Auftritts, dass er entweder zu früh oder zu spät kam. Der Jungfern-Gig des Quartetts aus Richmond, Virgina, zählte locker zu den besten, den Vertreter der langsamen Spielart auf den SUMMER BREEZE-Ausgaben der letzten Jahre zu bieten hatten. Das lag zum Einen am mittlerweile über Jahre eingespielten Gesamtkonstrukt um Sängerin Dorthia Cottrell, das den fuzzigen, Hall- und Reverb-schwangeren Albumsound des Grunge Dooms Eins-zu-Eins auf die Bühne zu bringen im Stande war. Zum Anderen hatte aber natürlich Cottrell selbst immensen Anteil am Kurzweil der knappen Dreiviertelstunde, verfügt die Dame doch über eine der charakterstärksten Clean-Stimmen des Genres, mit der sie Refrains wie den von „First To Die“ in geradezu ätherische Sphären hob. In Kombination mit dem brummenden, als Rhythmusgitarre gespielten Bass (Gitarrist Garrett Morris hatte alle Hände mit seinen Wah-Wah-Soli zu tun) groovten WINDHAND nicht nur sich selbst in eine eigene Welt: die Setlist, die sich zwar nicht in Anzahl aber in der Reihenfolge der Songs am aktuellen Live-Album „Live Elsewhere“ orientierte, traf augenscheinlich auch die innere Mitte einer Menge in Wellen schwingender Körper vor der Bühne.
Der Vollmond stand dramatisch am Himmel als das düstere Intro startete und zunächst vier vermummte Gestalten die Bühne betraten. Die beiden Gitarristen hatten tief ins Gesicht gezogene schwarze Kapuzen, der dreadgelockte Bassist ein Tuch vor Mund und Nase und der etwas später folgende Sänger sogar ein großflächiges, schwarzes Tuch über Kopf und Oberkörper, das von einer Art Nazgul-Krone getoppt wurde. Die behielt er aber nur beim Opener „Purified In Fire“ auf, danach präsentierte er genretypisches Corpsepaint und stachel-nietigen Armschmuck. Der brutale und gleichzeitig melodiöse Black Metal verfehlte seine Wirkung nicht und so war schnell ordentlich Bewegung im Publikum zu sehen. Besonders intensiv wurde es immer dann, wenn der Fünfer den Fuß vom Blastbeat-Pedal nahm oder auch bei den Interludes zwischen den Songs. Beachtlich auch die virtuose Gitarrenarbeit, da wurden feinteilige Soli-Intarsien ins finstere Schwarz(wald)brett ziseliert.
Es brauchte nur wenige Töne vom Band, um die Pommesgabeln und die Handydisplays in beispielloser Zahl in die Höhe schnellen zu lassen. Das Intro von „Fractured Millenium“ kündete nach einigen Jahren Abstinenz unmissverständlich von der Rückkehr einer gefeierten Legende. Peter Tägtgren und HYPOCRISY – ihres Zeichens Experten in Sachen extraterrestrischer Melodeath-Walzen und Todesmetall-Gehacke gleichermaßen – hatten ein Set voller Klassiker im Gepäck und waren bestens aufgelegt. Das ließ sich nicht zuletzt an kleinen Details des Bühnengeschehens ablesen: Einen Roadie, der ein frisch ausgetauschten Mikro mit einem über die Lippen erzeugten Flatulenzgeräusch testete, jagte Tägtgren mit umgeschnallter Gitarre per Gesäßtritt von der Bühne – nur um die Show danach ohne jeglichen Kommentar fortzusetzen.
Und obwohl der Sound den ganzen Auftritt lang etwas basslastig bleiben sollte, blickte man auch im Publikum schon nach kürzester Zeit allerseits in selige Gesichter. HYPOCRISY regten augenscheinlich ganz massiv zum Crowdsurfing an. Zwischendurch schaffte es sogar ein Fan, die „Grabenschlampen“ zu überrumpeln und mit ausgebreiteten Armen hinter der Band entlangzutanzen. Mehrere Pits komplettierten das metallische Bewegungsrepertoire. Tägtgren befeuerte den Tumult noch augenzwinkernd, indem er den Versammelten nahelegte, doch noch ein paar Kilo im Infield abzutrainieren.
So wechselten sich eine Stunde lang Hymnen wie das unverwüstliche „Eraser“ mit rasendem Schwedentod („Warpath“) ab, bevor das Set standesgemäß mit dem epischen Überhit „Roswell 47“ zu Ende ging. Der Bandleader wünschte allen ein sicheres Festival und entließ die Fans mit der vagen Hoffnung auf ein bald erscheinendes neues HYPOCRISY-Album.
Die hereingebrochene Dunkelheit und die gesunkenen Temperaturen boten das ideale Setting für ANOMALIE, die ihr Set pünktlich auf der Ficken Party Stage begannen. In spärliches Licht und Nebel gehüllt, rundeten diese ihre Optik mit einem Altar, einem kleinen Meer aus Grabkerzen und anderer rituell anmutender Bühnendeko ab. Los ging es mit “Towards The Sun”, zu dessen Intro ANOMALIE ihrem Publikum den Rücken zugekehrt hielten. Diese scheinbare Distanz hoben sie aber blitzschnell wieder auf, als sie die ersten Takte auf ihren Instrumenten anspielten und die SUMMER-BREEZE-Besucher damit schlagartig in ihre düstere, kalte Welt zogen. Zu sechst – und damit mit drei Gitarristen – unterwegs, lieferten ANOMALIE ein vielschichtiges Brett nach dem anderen und überboten sich dabei mit jedem Song selbst an Melodik und Melancholie. Verträumte Momente setzten das stets wiederkehrende Piano sowie hintergründig abgemischte orchestrale Arrangements. Das geschickt darin eingebettete Geballer tat sein Übriges, um die Fans zu ausgiebigem Headbangen und sogar zum Crowdsurfen zu animieren. Die Schreie nach einer Zugabe mussten ANOMALIE am Ende aber leider unbeantwortet lassen, denn die nächste Band stand bereits in den Startlöchern.
Egal, zu welcher Uhrzeit MIDNIGHT auftreten, wenn die maskierten Mitternachtsmetaller spielen, ist immer Geisterstunde angesagt. Nachtruhe scheint für das Black ’n‘ Roll-Trio aus Ohio jedoch ein Fremdwort zu sein – zum Glück! Frontmann Athenar und seine Jungs hatten mächtig Bock, die Wera Tool Rebel Stage in ihre Einzelteile zu zerlegen und sich einmal so richtig auszutoben. Dass die Speed Metal-Abrissbirne aus Cleveland ohnehin das Nonplusultra in Sachen brachiale Live-Gewalt ist, durften alle Anwesenden am eigenen Leib erfahren. Knaller wie das fetzige „Evil Like A Knife“ oder die Haudrauf-Nummer „Satanic Royalty“ luden nicht nur zum Moshen ein, sondern lieferten auch gehörige Nackenschmerzen am Folgetag – ein Preis, den die meisten angesichts der energiegeladenen Ausnahmeshow wohl durchaus bereit waren zu zahlen. Als das Oberhaupt der Maskenmänner zu guter Letzt auch noch seinen Bass in Brand steckte, war klar: MIDNIGHT wissen, wie man eine Bühne so richtig abfackelt!
ENSLAVED spielen bekanntlich nicht an jeder Steckdose. Entsprechend viele Ausrufezeichen sollten auf der persönlichen Running Order etlicher Besucher hinterm Bandnamen stehen, wenn die Norweger im Billing sind. Beweis erbracht: Das Konzert war bestens besucht, und ENSLAVED dankten es dem Publikum mit einer feinen Setlist, die sogar ein echtes Song-Highlight beherbergte. Zum Einstieg wurde „Ethica Odini“ vom fast gleichnamigen 2010er-Album präsentiert – der Auftakt zu einem großartigen Konzert. Während der progressive Viking Metal mal melodisch, mal brutal aber immer spannend in die Gehörgänge floss, gab es auch einiges zu sehen. Ob bewusst oder nicht: Die im Hintergrund beleuchteten Bäume harmonierten jederzeit ideal mit der Licht-Show, die sich anfangs auf Orange und Rot konzentrierte. Vor allem die getragenen Passagen funktionierten eindrucksvoll mit dem Drumherum, zu dem auch ein nahezu voller Mond gehörte, der dem Auftritt von ENSLAVED so wachsam und interessiert folgte wie das Publikum. Sobald der Klargesang von Keyboarder Håkon Vinje einsetzte, wurde aus der dichten Atmosphäre ein überragendes Live-Erlebnis. Ein Lied wie „Roots Of The Mountain“ von „Riitiir“ (2012) passte da perfekt, bevor eine kurze Ansage auf Deutsch zum neuesten Song des heutigen Abends („Sacred Horse“) überleitete. Plötzlich veränderte sich die Stimmung: sowohl auf als auch hinter der Bühne verschwanden die Farben in der Dunkelheit. Es wurde kühler, nicht nur in Bezug auf die Temperaturen. Der Bruch erhöhte die Spannung, ließ etwas Besonderes erwarten. Und genau so kam es auch: Inmitten eines weiterhin homogenen Gesamtbildes kündigten ENSLAVED eine rare Nummer vom „Below The Lights“-Album an und spielten tatsächlich „Havenless“. Wahnsinn! Viele klatschende Hände, vereinzelte Jubelrufe und fliegende Haare bekundeten die Freude über das musikalische Ausnahmetalent. Wer „Havenless“ nicht kannte, hat den epischen Song-Start vielleicht trotzdem schon gehört – in der Doku „Metal: A Headbanger‘s Journey“. Spätestens jetzt spürten Band und Zuschauer, dass hier ein Headliner auf der T-Stage steht. Zum Abschluss nahmen uns ENSLAVED mit ins Jahr 1992 und spielten den deutlich stimmungsvolleren Demo-Track „Allfáðr Oðinn“.
Obwohl emsiges Treiben auf der Ficken Party Stage herrschte, dauerte es eine ganze Weile, bis Künstler und Stagehands die Technik in den Griff bekommen hatten und HOLLYWOOD BURNS ihr Set schließlich mit gut zehnminütiger Verspätung beginnen konnten. Das Publikum wartete indes geduldig und wurde mit vielschichtigen Synthwave-Teppichen belohnt, zu denen die Menge wild abtanzte. Dass Mastermind Emeric Levardon ein Faible für die Klangwelten altmodischer Science-Fiction-Streifen hegte, war den Kompositionen überdeutlich anzumerken, die er seinem Laptop und seinen Keyboards entlockte und über die sich fett bratende Riff-Attacken und hochpräzise auf den Punkt gegroovte Drum-Beats legten. Weder die im laufenden Set noch nicht gänzlich gelösten technischen Schwierigkeiten, noch ein unachtsam zu Boden geworfener Computer (damit muss man wohl rechnen, wenn man seine Kunst einer weltbekannten Fallobst-Marke anvertraut) konnten den Triumphzug der ohrwurmverdächtigen Elektroklänge stoppen, so dass HOLLYWOOD BURNS auch ihre durch die technischen Verzögerungen verlorene Zeit ans Ende des umjubelten Sets anhängen durften.
Mehr Kontrast ging kaum: EVIL INVADERS luden die von der T-Stage zur Wera Tool Rebel Stage Pilgernden zu einer Metal-Party im Zeichen der 80er ein. Als Zeitmaschine dienten Leder, Nieten, hohe Schreie und die Instrumente, die nach einem Mini-Intro sofort malträtiert wurden – auf ganz positive Weise, versteht sich. Anders formuliert: Die Belgier nahmen weder Gefangene noch einen Umweg und feuerten direkt aus allen Rohren los. Songs wie „As Life Slowly Fades“, „Feed Me Violence“ und „Raising Hell“ schnitten den Besuchern kollektiv pro Hand drei Finger ab, sodass etliche Pommesgabeln zuckend in die Nacht gerissen wurden. Das Motto von EVIL INVADERS war überdeutlich: stimmungsvoll zerlegen. Dafür wurde wild gebangt und exzessiv gepost. Die Band war so viel in Bewegung, dass ein mitgeführter Schrittzähler wohl zeitnah explodiert wäre. Das zwischenzeitlich eingesetzte grüne Licht verlieh der eh schon schrägen Mimik von Fronter Joe eine Extraportion Oldschool-Horror-Flair, während der Speed Metal des Vierers zum Crowdsurfen gen Kunstnebel anregte. Trotz harter Konkurrenz – auf der Ficken Party Stage fand das DJ-Set von metal.de statt – sind etliche Leute gekommen. Das Finale wurde entsprechend gebührend zelebriert: Der Tagespreis fürs Posen geht definitiv an EVIL INVADERS, die sich am Ende besonders Fan-nah zeigten und zum Quatschen, Abklatschen und Bier trinken in den Graben sprangen.
Schon beim Einmarsch des Nachts auf die T-Stage legten KNASTERBART die Karten offen auf den Tisch: Das Intro verballhornte „Herr der Ringe“ und unter tosendem Applaus von Seiten der in üppiger Zahl zur nachtschlafenden Stunde vor der Bühne erschienenen Fans betraten die selbsternannten Rinnstein-Propheten sogleich das Rampenlicht, um ihren ersten „Gossenhauer“ ins Publikum zu rülpsen. Dass sich hinter den Pseudonymen Hotze und Fummelfips Knasterbart Malte Hoyer (Versengold) und Simon Erichsen (Mr. Hurley & Die Pulveraffen) verbargen, war hinlänglich bekannt. Dass KNASTERBART betont anstößige, wenngleich nicht obszöne Lyrik in ihren „Gossen-Folkore“-Sound einwoben und sich damit zum Hochseilakt auf den schmalen Grat der Geschmacksgrenze aufschwangen, machten die Herren indes mindestens mit Songtiteln wie „Mein Stammbaum ist ein Kreis“ oder „Laich mich ein“ klar. Spätestens aber mit dem Cover von „Cotton Eye Joe“ floss das Abwasser endgültig durch die von KNASTERBART so liebevoll besungene Gosse, griff der Urinstinkt der Leute in der Menge, die sich folglich komplett von allen Hemmungen befreite. Und schlussendlich zahlte sich die Mühe aus, als das Publikum mit der Band zusammen das „Gossenabitur“ absolvierte und sich so quasi auf dem zweiten Bildungsweg über die Zielgerade suhlte.
Schlafenszeit? Fehlanzeige! LETTERS FROM THE COLONY beendeten diesen Festivaltag mit einem ordentlichen Knall! Getreu dem Motto „Auf die Fresse mit Niveau“ teilten die jungen Schweden an alle Wachgebliebenen einen kräftigen Rundumschlag an krachenden Riffs, brachialen Rhythmen und dicken Growls aus. Trotz später Stunde entfachten die Schweden ein monumentales Abriss-Feuerwerk. Wer im Laufe des Tages noch nicht genug Musik auf die Ohren bekommen hatte, kam an der Wera Tool Rebel Stage dank technisch versierten Metalcores endgültig auf seine Kosten. Progressive Kracher wie der grandiose Opener „Terminus“ oder das hochanspruchsvolle „Vignette“ lieferten ein hervorragendes Spätprogramm, das jedes bisschen noch vorhandene Restenergie pulverisierte. Zusätzlich punkteten die Jungs mit ihren sympathischen Ansagen in ausgesprochen gutem Deutsch, mit denen sie die Menge von Beginn an motivierten. Wer danach nicht tief und fest schlief, dem ist wohl nicht mehr zu helfen!