Endlich fruchten meine geheimen schwarzmagischen Rituale, mit denen ich abseits des Geländes allnächtlich den Gehörnten anrief, um den Himmel zu verdunkeln. Jetzt müsst ihr Mülltüten tragen, um dem Regen zu trotzen. Das habt ihr von all eurer guten Laune! Nein, im Ernst: Was soll denn das bitte? Umso schöner, dass ihr trotzdem nicht in euren Pavillons verweilt und die gute Laune siegt.
Was passiert eigentlich „morgens“ auf dem BREEZE-Gelände? Schauen wir uns um: An der Wera Tool Rebel Stage sitzt Pikachu, eine Dame startet mit einer Runde Axtwerfen sportlich in den Tag, aus der Konserve dröhnen von irgendwoher METALLICA, weil das ja immer geht, an einem Essensstand hackt jemand Holz – idyllisch – und die Menschen strömen in Scharen zum Infield.
Währenddessen liefern DEBAUCHERY auf der T-Stage Wachwerd-Grooves und todesbleiernen Rock ’n‘ Roll zur Après-Frühstücks-Party. Um halb zwölf sind schon viele Leute da – äußerst löblich. Das ist der Vorteil des schlechten Wetters: Wenn die Sonne morgens nicht gleich aufs Zelt brennt, schläft man besser.
Ich bleibe in der Nähe, weil gleich VENDED zocken. Hoher Besuch, denn ins Mikro brüllt hier der Sohn von Corey Taylor – frühe SLIPKNOT-Vibes inklusive. Wer danach den kürzesten Weg zur nächsten Stage nimmt, landet bei SLOPE, deren Intro („It’s Tricky“ von RUN DMC) die Leute und Grabenschlampen sofort zum Tanzen animiert – geiler Moment! Daneben sitzt eine junge Frau auf dem Rücken eines Typen und massiert ihn. SUMMER BREEZE, ein Ort der Entspannung!
„SUMMER BREEZE, wie geht’s euch in eurer Dusche?“, fragt der ORDEN-OGAN-Fronter Sebastian „Seeb“ Levermann. Die Antwort liefert das Infield, auf dem auch weit hinten noch Menschen freudig headbangen. Genau so geht Festival! (André Gabriel)
Mittlerweile hat der Himmel alle Schleusen geöffnet und weint. Es muss schlimm sein, was ihm widerfahren ist. Schuld sind aber keinesfalls THE OKLAHOMA KID, die auf der Ficken Party Stage ganz unschuldigen Metalcore spielen. Leider nur für eine Handvoll der härtesten Fans, denn das Wetter könnte garstiger nicht sein. Wer kann, bleibt lieber im Zelt. Wer vor Ort ist, behilft sich idealerweise mit einem Regencape und ganz viel Bewegung. Frontmann Tomm Brümmer, mittlerweile selbst durchnässt, zieht als letzten Joker die Niedlichkeitskarte und sagt, dass die Band nach dem Konzert noch am Merch-Stand zu treffen sei, wo man ihnen einen Drücker geben könnte. Am besten im dort gekauften und noch trockenen Bandshirt.
Ein Schlenker führt an der T-Stage vorbei, wo BENIGHTED den Regen mit einer ordentlichen Wall Of Sound bekämpfen – da gehen die Tropfen auf Angriff und fliegen waagerecht. Jede Band wählt halt einen anderen Weg, mit den Gegebenheiten umzugehen. EMIL BULLS-Frontmann Christoph „Christ“ von Freydorf ist da deutlich subtiler und versucht zunächst, den Störfaktor Regen kleinzureden: „Ist ein bisschen ungemütlich gerade!“ Ja, kann man so sehen. Mit zunehmender Dauer macht das Schietwetter aber mürbe und die gutgemeinte Ansage „Summer Breeze, da geht noch mehr!“ klingt fast wie eine Drohung: Noch mehr Regen? – Bloß nicht!
Aber es ist, wie es ist: „There’s no bad weather, only bad kleather“, wie es Lothar Matthäus in seinem Denglisch nicht schöner hätte formulieren können. Glücklicherweise haben die meisten Fans Regenzeug eingepackt, und für diejenigen, die es unvorsichtigerweise im Zelt gelassen haben, gibt es die kostenlose Billigvariante mit Werbeaufdruck. Da ist das Aussehen völlig egal, Hauptsache, man bleibt trocken.
Oder man geht den umgekehrten Weg, pfeift sowohl auf Wetter als auch Trockenheit und zelebriert die Vorzüge von Aquafitness. Während nämlich PARASITE INC. auf der T-Stage ein Feuerwerk zünden, initiieren nicht wenige Fans einen Circlepit – pitschenass und mit Spaß inne Backen. (Eckart Maronde)
Palmen, Strand und Meeresrauschen, Palmen, Strand und Meeresrauschen – es braucht schon ein tropisches Mantra, um das Wetter zu akzeptieren. Andererseits weckt der Dauerregen bei einigen auch die Kreativität: Einer hat die Stiefelöffnungen mit Gaffa-Tape zugeklebt, damit kein Wasser und Schlamm reinkommt. Andere gehen den Alles-egal-Weg und suhlen sich eher. Lebt euch aus, Leute!
Die passende Musik liefern ALESTORM auf der Mainstage. Die trinkfesten Nummern sorgen für gute Laune und lockeres Piraten-Feeling. „I got a hangover“ singt Christopher Bowes – da ist er sicherlich nicht der einzige.
Wir rudern natürlich nicht zurück (ja ja, Piraten-Floskel), sondern kräftig vorwärts gen Nacht und Abschlusstag. Vorher wird es aber deutlich emotionaler, denn JINJER spielen auf der T-Stage. Die ukrainische Band gibt ein prägnantes Statement zur aktuellen Situation in ihrem Herkunftsland und bietet dann ein intensives Set – schön zu sehen, dass so viele Menschen hier sind, um die Musik und wichtigen Worte von Tatiana Shmayluk zu hören. (André Gabriel)
Zurück zur Main Stage: Dort spielen AMORPHIS, und das ist eine Band, zu der wohl jeder einen positiven Bezug hat. Von Fans der ersten Stunde kommt häufig die Frage, ob die Finnen heute neben „Black Winter Day“ noch etwas anderes vom „Tales From The Thousand Lakes“-Album spielen werden. Andere freuen sich über jeden neuen Song. Und selbst eine eher kuriose Aussage vom Schlage „Hat der Sänger keine Dreads mehr?“ (schon seit ein paar Jahren nicht mehr) ist doch positiv zu sehen: Nach der konzertlosen Zeit ist es einfach viiiiiel zu lange her, seit man AMORPHIS das letzte Mal live gesehen hat. Schön, dass sich das heute ändert. (Eckart Maronde)
Heute unterbrechen BLOODYWOOD auf der Main Stage mit ihrem ersten Auftritt auf dem SUMMER BREEZE unseren Schönheitsschlaf, und spätestens nach den ersten dröhnenden Trommelschlägen der Dhol sind auf dem Infield dann auch die letzten wach. BLOODYWOOD legen erwartungsgemäß gleich ordentlich los. Dass diese Band weder thematisch noch musikalisch auf leichte Kost setzt wird spätestens dann jedem klar, als Rapper Raoul Kerr eindringliche Worte über Journalisten verliert, die ihre Seele verkaufen. „Fuck Propaganda, you can take back your shit in shovels!“ ist eine gezielte Überleitung zum nächsten Song „BSDK.exe“, und die Menge rastet aus. Auch wenn sie keine Partyband sind, sorgen die sechs Musiker aus Neu-Delhi für ordentlich Stimmung, und obwohl es in der Nacht ein wenig geregnet hat, wirbelt bereits wieder eine heftige Staubwolke über den ersten Reihen. Bei „Dana Dan“ geht es um sexuellen Missbrauch, und selbst wenn man textlich im Song aufgrund der Sprachbarriere nicht alles versteht, sind sowohl Ansprache, Performance als auch der Song selbst eindringlich genug, und wir schütteln alle wütend und entschlossen die Fäuste gen Himmel. Der Auftritt endet mit einem flammenden Appell zum Thema Diversität und einem Dank ans SUMMER BREEZE, aufgrund dessen Einstellung zur Diversität sie überhaupt erst hier sein können. Das finden wir alle gut, und zum letzten Song des Sets wird nochmal ordentlich gewirbelt, gewedelt, geklatscht und gestampft was nur geht. Ich würde sagen, Premiere gelungen, bitte kommt bald wieder! (Sonja Schreyer)
Kennt ihr das? Man schaut ein Video oder hört ide neue Single einer Band, die man wirklich gerne mag oder hört zum ersten Mal einen neuen Song und stellt sich instinktiv die Frage, ob diese Band live überhaupt so gut sein kann, wie aus der Dose? Dass die amerikanischen Death-Coreler LORNA SHORE hierzulande inzwischen kein Geheimtipp mehr sind, ist vor Allem den letzten Veröffentlichungen und insbesondere „Sun//Eater“ zu verdanken. Demzufolge ist es auch kein Wunder, dass LORNA SHORE – obwohl die Show zur Mittagszeit stattfindet und das Wetter immer schlechter wurde – erstaunlich viel Publikum anziehen. Noch mehr Publikum als beim Vorgänger BLOODYWOOD und nach der Show lichtet sich das Publikum zusehends. Aber zurecht? Mit 40 Minuten Spielzeit haben LORNA SHORE wirklich nur wenig Möglichkeit Dinkelsbühl auf links zu drehen, aber selbst sechs Songs reichen, um jede*n zum Fan zu machen! Sie beginnen ihr Set mit „To The Hellfire“ von der 2021er EP „…And I Return To Nothingness“ und noch während dem akustischen Intro ertönen nachhallende Gitarren und das einzigartige Organ am Mikro wird von Vorschlaghammer-Blastbeats ins Set hereingetragen. Die Kraft der Schreie und Growls von Sänger Will Ramos sind ein entscheidendes Erkennungsmerkmal des Lorna-Shore-Sounds und live bringt er seine Bandbreite an die Grenzen der Hörbaren. Und wirklich: Sie klingen ganz genau so gut wie auf Platte und man weiß nicht, ob man zuerst klatschen, jubeln, mitsingen oder in den Circle Pit soll, der „Of the Abyss“ und „…And I Return to Nothingness“ begleitet. Wenn man dann während dem Showdown „Into the Earth“ plötzlich von zwei Circle-Pit-Besucherinnern angerempelt wird, die sich die FFP-Masken abziehen und erstmal ein halbes Kilo Staub aus der Maske leeren und Sand ausspucken, weißt du, es hat sich wirklich gelohnt! „Thank you SUMMER BREEZE! Hope to see you soon!“ Ja bitte und gerne auch später am Tag und länger! (Tammy Deibler)
Mit “It´s Tricky” von RUN DMC als Intro sind die Zeichen gesetzt: Es ist Zeit für ein bisschen Hardcore-Funk auf der Wera Tool Stage. Die Band ist irgendwas zwischen Punk, Beatdown und knackigem Punk, ist soundmäßig nicht greifbar und übt deshalb ihren besonderen Reiz aus. Dank aufkommenden Regens aber mit deutlich weniger Sandstaub-Reiz in den Augen der Menschen, die sich zu “Fluid” und “I`m Fine” im Circlepit rangeln. Somit lassen die Duisburger mit groovigen Nummern einige Highlights ihrer Scheibe “Street Heat” vom Stapel. Die Band, die sich gerade in die Herzen der Gemeinden scheppert, hat zwei Jahre auf diesen Auftritt warten müssen, und das merkt man direkt. SLOPE haben Bock. SLOPE haben Spaß. Nach saftigen 30 Minuten Bambule, wirkt es wie ein Abschied schweren Herzens. Durchgeschwitzt verabschiedet sich die Band vom ebenso durchgeschwitzten Publikum. Der Funk(e) ist mal sowas von übergesprungen! (Jeanette Grönecke-Preuss)
Hektisches Treiben auf der Main Stage vor dem Auftritt der Bajuvaren EMIL BULLS. Das Backdrop prangt raumfüllend im Hintergrund, die Aufbauten stehen, aber die Technik streikt, es wird rumgewuselt und versucht das Problem in den Griff zu bekommen und zum eigentlichen Auftrittsbeginn ist immer noch keine Lösung gefunden – also wird zähneknirschend „Winterblood“ von der Setlist gestrichen. Zu den Problemen auf der Bühne kommt die Situation vor der Bühne: da schüttet es quasi aus Eimern. Umso beachtlicher, dass sich ein Meer an Regenponchos vor der Bühne eingefunden hat und schon lange vor dem ersten Ton des Trademark-MANOWAR-Intros beeindruckend lautstarke „EMIL…. BULLS!“-Sprechchöre geschmettert werden. Mit latent dickem Hals startet die Band fulminant mit „The 9th Wave“ in die Show und machen in der Folge genau das: sie reiten auf einer Welle, pushen sich und das Publikum und machen aus widrigen Voraussetzungen das allerbeste – eine Show, die wohl niemand der Anwesenden je vergessen wird. Jeder Song wird begeistert gefeiert und mit „Worlds Apart“ endet der siebte Auftritt der EMIL BULLS auf ihrem (laut Eigenaussage) Lieblingsfestival. Das war überragender Band- und Fan-Einsatz – nicht umsonst fehlt unter keinem Post der Band der Hashtag #familymeansfamilyforever – we’ll meet again! (Tom)
PARASITE INC. dürfen als quasi Lokalmatadoren auf dem SUMMER BREEZE Open Air grundsätzlich nicht wirklich fehlen, auf dem 25-jährigen Jubiläum schonmal gar nicht. Auch wenn die Rahmenbedingungen mit Dauerregen seit 13 Uhr nicht unbedingt für Euphorie sorgen, so tut dies stattdessen die anwesende Crowd, welche die Aalener direkt abfeiert. Mit im Gepäck haben die Jungs unter anderem das am heutigen Tag erscheinende neue Album „Cyan Night Dreams“, von denen auch einige Kostproben abgefeuert werden. Der melodische Death Metal der Süddeutschen geht nicht nur direkt ins Ohr und hat einige verdammt gut reinlaufende Mitgröler am Start, sondern zieht den Zuschauern mit seiner brachialen Intensität die triefnassen Klamotten vom Leib. Dass trotz widrigem Wetter anwesende Publikum beweist einmal mehr, dass sich PARASITE INC inzwischen eine nicht zu verachtende Fanbase aufgebaut haben und sich diese auch stets erweitert. Ob die Stücke der ersten beiden Alben oder der just erschienenen Scheibe – die Aalener schreiben einfach bühnentaugliche Songs, was sie mit ihrem Auftritt auf der T-Stage erneut eindrücklich unter Beweis stellen. (Patrick Olbrich)
Bewegungsalarm auf der T-Stage: Der Name NAPALM DEATH verspricht eine volle Stunde ungezügelte Energie. Dafür stehen einmal die Songs, die zwischen ungebändigter Naturgewalt und groovigeren Parts wechseln. Aber auch die Band macht ordentlich Alarm und die Show zu einer Sportveranstaltung: Wenn Sänger Barney Greenway nicht gerade seine Ansagenmonologe zwischen Klassenkampf und Antifaschismus hält, tigert er zappelnd und immer in Bewegung über die Bühne. Die Augen geschlossen und den Zeigefinger mahnend erhoben, brüllt er gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt an. Bassist Shane Embury, heute in einer Art buntem Hawaiihemd, schleudert derweil seine krause Lockenpracht durch die Luft, während seine Finger virtuos und durchaus einzigartig über die tiefen Saiten tänzeln. Livegitarrist John Cooke benötigt mittlerweile ein Stirntuch, um seine schweren, durch die Luft wirbelnden Dreadlocks zu bändigen. Dagegen wirkt Drummer Danny Herrera fast stoisch, wenn er imposant die Rhythmen zwischen D-Beat und Blastbeat aus seinen Handgelenken schüttelt. Zwischen dem eher unaufgeregt eingestreuten „You Suffer“ und dem DEAD KENNEDYS-Cover „Nazi-Punks Fuck Off“ bleibt kaum Zeit, um mal durchzuatmen. Alles wie gehabt also: Ein energiegeladener Gig und zufriedene und ausgepowerte Fans. (Eckart Maronde)
So ein bisschen Regen kann eine sturmerprobte Piraten-Crew natürlich nicht schrecken. Folgerichtig entern ALESTORM die Planken der Main Stage in gleichermaßen sommerlichen wie geschmacklosen Urlauber-Kostümen und machen von der ersten Minute an ordentlich Alarm. Wichtigstes Bandmitglied und daher zentral in der Bühnenmitte positioniert ist jene inzwischen wohlbekannte überdimensionierte Quietscheente, die alleine mehr Platz beansprucht als alle übrigen Musiker zusammen. ALESTORM dürften auch die einzige Band sein, die es sich erlauben kann, zur gleichen Zeit sowohl ein Keyboard als auch eine Keytar auf der Main Stage im Einsatz zu haben. Die Zuschauerschar wäre bei strahlendem Sonnenschein wohl ungleich größer ausgefallen, eine trink- und wetterfeste Kerncrew trotzt dem Wetter jedoch umso verbissener. Nach zwei Jahren Corona-Pause lassen wir uns schließlich von ein bisschen Wasser nicht unseren Festival-Freitag vermiesen! Während der über Wochen hinweg komplett ausgetrocknete Boden die Feuchtigkeit schon längst nicht mehr aufnehmen kann, hat Frontmann Christopher Bowes freilich gut reden, wenn er von der überdachten Bühne herab die Menge dazu auffordert, sich kollektiv in den Matsch zu setzen. Von ein paar besonders hartgesottenen Gesellen abgesehen, bleibt die Menge jedoch lieber stehen. Das riecht nach Befehlsverweigerung, Meuterei sogar! Doch haben ALESTORM mit dem Kielholen ihre schärfste Drohung bereits als Opener verschossen. So bleibt ihnen also gar nichts anderes übrig, als sich auf eine zünftige Publikumsbeschimpfung im Gewand des launigen Rausschmeißers „Fucked With An Anchor“ zu verlegen. In diesem Sinne: „You’re all cunts, so fuck you all!“ (Florian Schörg)
Abends, halb neun in Dinkelsbühl. Umringt von zwei Damen betritt eine kleine, sportlich bekleidete Frau das Rampenlicht der T-Stage. Schwarze Kleider, ihre ganz eigene Kriegsbemalung um die Augen, im Dunkeln neon-grün leuchtende Sneaker und irgendwie überstrahlt sie alles um sich herum. JINJER sind zurück.
Eine Erinnerung an 2018 kommt hoch: War das nicht die Band, die ganz schön abging, damals auf der kleineren Stage? Während man sich dann gerade noch die Frage stellt, ob es möglich ist noch nasser als bis auf die Knochen durchnässt zu sein, startet der erste von insgesamt zwölf Songs des heutigen Abends. „Teacher, Teacher!“ hallts durch den Regen von der Bühne. Und dann beginnt eine Art Tanz. Von der harschen Gangart des letzten Auftritts ist gefühlt nicht mehr sonderlich viel übrig, denn die Songauswahl heute sorgt für eine ganz andere Grundstimmung und einen Flow, der einer Mischung aus Tanz und Geprügel gleicht. Manche Songs sind langsam und melodisch, berührend und sentimental, enden dann aber mit lautem Gekeife, welches doch wieder daran erinnert, welche Band eigentlich gerade spielt. Andere, wie auch der Schluss, den diesmal „Colossus“ bildet, sind an Härte und dissonanter Riffkunst kaum zu überbieten und trotzdem sieht man der Sängerin Tatiana Shmailyuk keinerlei Anstrengung an.
Wenn man den Blick über die Menge schweifen lässt, sieht man kaum Circle Pits oder Stage Diver, sondern vielmehr durchgehende Wellen von schwingenden Armen und Bewegungen, der Bass dröhnt bis in die Fußspitzen und die Band gibt alles. Das Publikum gibt allerdings auch sehr viel Rückmeldung an die Ukrainer zurück: In den Pausen hört man Freudenrufe bei der Ankündigung von „Pit of Conciousness“ und einmal setzt sich auch ein Chor aus vielen „Fuck Putin!“-Rufen durch, welche sich bis nach ganz hinten im Publikum durchziehen. Das ist so weit, dass man das Ende der Menschenmenge von vorn gar nicht erkennen kann. JINJER ziehen alle Register und die Show ist mit folgenden kurzen Worten ganz einfach zu beschreiben: Ein Main Stage-verdächtiger T-Stage-Auftritt! (Tammy Deibler)
Der Regen hat das Battlefield längst in eine einzige große Schlammgrube verwandelt. Wer dennoch vor der Main Stage ausharrt, wird im Laufe der kommenden anderthalb Stunden nicht nur bis auf die Haut durchnässt, sondern auch Zeuge einer überragenden Performance von WITHIN TEMPTATION. Viele der Anwesenden haben sich in die Kapuzen ihrer Jacken oder Regenponchos verkrochen, die gewissermaßen auch eine Scheuklappenfunktion erfüllen. Da bleibt der Blick streng auf das Bühnenbild fokussiert, während die umstehenden Zuschauer nahezu komplett aus dem Sichtfeld verschwinden. Umso mehr Gelegenheit also, all das zu würdigen, was die Band dort in geradezu verschwenderischer Weise aufgefahren hat. Zentrales Element ist eine große Maske mit leuchtenden Augen, die aus drei gegeneinander verschiebbaren Einzelteilen besteht. Dahinter ist ein nicht minder großer Videoscreen aufgebaut, welcher die einzelnen Stücke mit atmosphärischen Videoeinspielern untermalt. Davon profitieren insbesondere Stücke wie „Paradise (What About Us?)“, „And We Run“ oder „What Have You Done“, an deren ursprünglicher Fassung Gastsänger*innen beteiligt waren. Da diese Gäste heute natürlich nicht alle persönlich anwesend sein können, sind sie wenigstens auf der Leinwand präsent, während die zugehörigen Stimmen vom Band eingespielt werden. Lediglich Christoph Wieczorek von ANNISOKAY steht heute persönlich mit WITHIN TEMPTATION auf der Bühne und singt im Duett mit der bezaubernden Sharon den Adel den neuen Song „Shed My Skin“. Mit „The Purge“ und „Entertain You“ finden sich noch zwei weitere Stücke vom für das kommende Jahr angekündigten neuen Album auf der Setlist wieder. Ausgerechnet bei dessen Titeltrack „Don’t Pray For Me“ streikt jedoch die Technik, weshalb uns die Band diesen heute leider schuldig bleibt. Über den dadurch entstehenden Spinal-Tap-Moment moderiert Sharon den Adel ebenso charmant-routiniert hinweg wie über eine kurze Verwirrung mit der Setlist. Offenbar kann sie es gar nicht erwarten, das kämpferische „Raise Your Banner“ anzukündigen und dem Freiheitskampf der Ukrainer gegen die russischen Invasoren zu widmen: „We stand with Ukraine!“ lautet die unmissverständliche Botschaft und folgerichtig ist es eine gigantische blau-gelbe Fahne, die hier gehisst und von der Frontfrau unter dem lauten Beifall der Menge eifrig geschwungen wird. In Putins Russland dürften WITHIN TEMPTATION damit fürs erste wohl nicht mehr willkommen sein. Nach dem von tausenden Kehlen inbrünstig mitgesungenen „Ice Queen“ verschwindet die Band kurz von der Bühne, steigt aber dann mit „Our Solemn Hour“ direkt in einen ersten Zugabenblock ein. Noch einmal darf das Publikum alles geben und sich von dem explosiven Smash-Hit „Supernova“ genauso sehr einheizen lassen wie von den begleitenden Gasflammen. Der Ausklang gibt sich mit dem melancholischen „Stairway To The Skies“ dann eher nachdenklich und geleitet die Zuschauer sanft aus dem Set hinaus, zurück in den verregneten Festival-Freitag. Doch halt – einen haben WITHIN TEMPTATION ja noch! Das unverzichtbare „Mother Earth“ bildet die finale Zugabe und verzögert die gedankliche Rückkehr in die schlammige Realität nochmals um ein paar wenige, aber umso wertvollere Minuten. (Florian Schörg)
Ihr steckt ohnehin schon knietief im Schlamm vor der Main Stage? Dann kann man doch gleich noch 70 Minuten AMORPHIS mitnehmen, denn die Finnen kommen diesmal – entgegen der Show 2017 – ziemlich pünktlich auf die Bühne und starten gleich mit dem kraftvollen Opener „Northwards“ in die regenreiche Dunkelheit. Alsgleich fängt es links und rechts neben dir lauthals an mitzusingen und man erwischt sich, wie man dann auch anfängt zu summen und spätestens zu „On the Dark Waters“ ein wenig zu schunkeln. Vergessen sind die nassen Füße und der dieses Jahr deutlich ausgeprägte Mief des Regens und weiteren Dingen, die wir an dieser Stelle aber nicht definieren wollen. AMORPHIS, die man als reger Festivalgänger sicherlich schon mehrere Male live gehört und gesehen hat, liefern kein Konzert, sondern ein spirituelles Erlebnis. Eindrucksvolle Lichttechnik mit träumerischen und zum Thema des Songs passenden Videos im Rücken der Band – nein man sieht wirklich kein Konzert, sondern taucht ein in die Geschichten und Tragödien der Geschichtenerzähler Tomi Koivusaari und Co. Überraschen können diesmal Klassiker, die man live sonst eher selten hört – „Into Hiding“ (vom Album „Tales from the Thousand Lakes) und „My Kantele“ (von „Elegy“) sorgen für Freudenrufe aus den Reihen. Generell hört man die Begeisterung des Publikums aber ohnehin oft an diesem Abend. Als der Instrumental-Teil von „The Bee“ anfängt jubelt auch der letzte Anwesende und man singt, feiert und tropft gemeinsam, bevor AMORPHIS zum Ende hin wieder ihren Signature-Move ausspielen und mit „House of Sleep“ ihr Set und damit ein weiteres unvergessliches Konzert beenden. Ein weiteres Strichchen auf der Liste gesetzt und bis zum Ende der Nacht ist jede*r nass vom Scheitel bis zur Sohle, der Nacken schmerzt. Es ist und bleibt jedes Mal ein absolutes Wohlfühl-Erlebnis. (Tammy Deibler)
“Wir haben den Regen besiegt!” ruft Frontmann Chris Harms nach dem Opener “Drag Me To Hell” euphorisch in die trotz der späten Stunde noch ordentlich große Menge vor der Main Stage, und tatsächlich hat es während des ersten Songs aufgehört zu gießen. Das Publikum freut’s. Die fünf Hamburger sind zwar bestimmt Schietwetter gewohnt, aber vermutlich auch nicht traurig, wenn es nicht aus Kübeln schüttet während sie gewohnt energetisch über die Bühne springen. Nach einer kurzweiligen Mischung von Songs aller Alben (ausgenommen den „Swansongs“) von „Die Tomorrow“ bis hin zur neuesten Scheibe „Judas“ ist der einstündige Auftritt überraschend schnell vorbei. Zum Abschluss gibt es noch eine zünftige nächtliche Sporteinlage mit Animation zum Springen und Hüpfen á la Chris Harms zu „Blood For Blood“ und „La Bomba“, an der sich das zuvor schon etwas müde wirkende Publikum erfreulich eifrig beteiligt, bevor sich die fünf Herren aus Hamburg zu den Klängen von „LOTL“ vom Band wieder in die Nacht verabschieden. (Sonja Schreyer)
Wer sich mit deepen Sludge-Doom in die Nacht wiegen möchte, ist bei HANGMAN´S CHAIR absolut an der richtigen Adresse. Die Franzosen lassen ihre vertonte, tiefe Melancholie zu späterer Stunde frei. Die kraftvollen Töne lassen einen kurz mal Inne halten und den Kopf freipusten. Das Publikum, mit geschlossenen Augen vor der Bühne stehend, wippt andächtig im Takt mit dem Kopf. Das Ganze verbreitet ab Sekunde Eins eine tiefe Faszination. Quasi ein gemeinsames Baden in doomigen Stoner-Sound. HANGMAN`S CHAIR selber stehen lässig und entspannt auf der über weite Strecken blau ausgeleuchteten Bühne, lassen ihre Musik sprechen und wirken. Das braucht es nicht viel, die reduzierte Attitüde wirkt allein durch den niveauvollen Klangteppich, der in die Nacht hinaus schwebt. Absolutes Highlight und ein leider viel zu kurzes Set. (Jeanette Grönecke-Preuss)
Bei den widrigen Wetterverhältnissen steht heute nur vor den Bühnen, wer auch konkretes Interesse an der auftretenden Band hat – außer bei der Wera Tool Stage, da könnte das Dach durchaus ein Entscheidungsfaktor gewesen sein. Über der Publikumsfläche vor der T-Stage gibt es aber kein schickes Dach, erschwerend hinzu kam bei VOLA, dass sie quasi mitten in der Nacht ans Werk gingen. Das war den vielen Fans vor der Bühne aber scheinbar völlig egal und als die Band rauskam, war sie dann offensichtlich auch positiv überrascht „Hallo SUMMER BREEZE, wir sind VOLA aus Dänemark und Schweden und wir freuen uns hier heute so viele Nachteulen zu sehen – wir haben so Bock auf das hier – wie siehts bei euch aus?“ begrüßte Sänger & Gitarrist Ager Mygind die Fans und die blieben ihm die Antwort auf seine Frage nicht lange schuldig – die Band wurde die folgenden 45 Minuten quasi auf Händen getragen. Filigrane progressive Passagen mit säuselndem Gesang treffen auf verquere Rhythmik bis hin zu MESHUGGAH-artigen Ausbrüchen, dazu der perfekte Sound und eine ebensolche Lightshow – was ein Genuss zur späten Stunde. Absoluter Blickfang und megavirtuos an seinem Schlagzeug: der schwedische Ausnahmedrummer Adam Janzi. Im September ist die Band in Deutschland auf Tour und so mancher, der dieses nächtliche Konzert erlebt hat, wird sich das nicht entgehen lassen. (Tom)