18.08.2022 - Der Tagesbericht

„Och nö, noch eine Maskenband!“, dürfte so mancher angesichts der WARKINGS sagen. Da gibt es die Bandmitglieder The Viking, The Spartan, The Crusader und The Tribune, die im echten Leben auf harmlose Namen wie Chris, Steffen, Markus und Georg hören, hier auf der Bühne aber ihr Gesicht hinter einer Totenkopfmaske verstecken und einen entsprechenden Hörner- oder Römerhelm tragen. Keine Frage: Das muss man nicht mögen, und manchem Metalfan ist das einfach zu viel Show. Aber: Wer auf Black Metal steht und Corpsepaint und den Kapuzenkult verteidigt, wer GHOST für ihre großartige Show abfeiert und vielleicht heimlich, still und leise LORDI witzig findet, sollte zumindest mal ein Ohr reinhalten. Sooo viel anders ist das doch hier auch nicht. Und außerdem gehört eine gepflegte Maskerade in der Rockmusik doch irgendwie auch zur Tradition. Nicht zuletzt spielen die WARKINGS einfach gediegenen Power Metal, der auch ganz ohne Verkleidung funktioniert und so stimmig ist, dass man auch mal anerkennend mit dem Kopf nicken kann. Also: passt schon. Und das sehen auch die zahlreichen Fans so, die die Band trotz des Openerslots auf der T-Stage bereits um 11:30 Uhr hart abfeiern.

Und es geht auf direktem Wege weiter zum Metal Yoga. Ich muss euch was gestehen: Die ersten zwei Tage haben mit Sonne, Headbangen und vielleicht dem einen oder anderen Bierchen bei mir schon ihren Tribut gezollt. Latentes Unwohlsein macht sich ebenso bemerkbar wie eine kräftige Verspannung im Nackenbereich. Das muss dieses Alter sein, vor dem immer gewarnt wird. „Geh doch zum Yoga“, ist ein gutgemeinter Ratschlag aus meiner Zeltgruppe. Als ich gerade abwinken will wegen der säuseligen Musik, spüre ich ein fieses Ziehen am Rücken. Also gut, dann gehe ich halt zum Yoga. Um genauer zu sein: Zum „Metal-Yoga“ vor der Ficken Party Stage. Kaum dort angekommen, bin ich erst einmal überrascht wegen der Musik (SLAYER mit „South Of Heaven“) und darüber, wie voll es ist. Eigentlich findet sich kaum ein freier Platz mehr: Das müssen mehrere Hundert Metalheads sein, die dort ein Handtuch vor sich ausgebreitet haben, ihre Yogamatte oder direkt eine faltbare Sonnenliege. Also schleiche ich mich nach hinten und schaue erst einmal verschämt dem Treiben zu. Der Sonnengruß. Das sieht kompliziert aus. „Kannst du nicht mehr?“, raunt mich der Metaller an, der neben mir steht. „Wieso, du machst doch auch nicht mit“, gebe ich zurück. „Na ja, ich bin nicht so sportlich“, sagt er kleinlaut. Sportlich, so so. Mittlerweile ist die Musik zu DIMMU BORGIR gewechselt, und Yoganette gibt über das Mikrofon weitere Anweisungen. Etwas herrisch vielleicht, aber immerhin ist das auch eine Metal-Veranstaltung. Da braucht es schon mal klare Ansagen. „Jetzt den rechten Fuß anheben!“ Ich ertappe mich, wie ich selbst mitmache. Dabei sehen meine Bewegungen sicherlich nicht graziler aus wie bei dem Typen im Dinosaurier-Kostüm vor mir. Aber ich bin ja schließlich hier, damit ich hinterher wieder entspannter durch das Festival komme – egal, wie es aussieht. Trotzdem lasse ich den Blick kurz über das Infield schweifen. Ein Fan hat einen riesigen Teddybären auf seinen Schultern sitzen. Weitermachen. Der „Hund“. Ich erinnere mich noch daran, wie mir jemand auf den Weg gab, dass der „Kranich“ nichts, aber wirklich nichts mit Yoga zu tun hat. Ich muss grinsen. Inzwischen schallt „Down With The Sickness“ von der Bühne, und aus den Schweißperlen auf meiner Stirn ist ein ganzer Schweißbach geworden. Die Sonne ist wirklich gnadenlos, und es ist anstrengend. Trotzdem: Das hat schon Spaß gemacht, und irgendwie fühlt sich mein vom Festival geschundener Körper auch etwas geschmeidiger an. Dann kann es ja weitergehen. Namaste, liebe Metalheads. (Eckart Maronde)

Der Blick durch die Black Metal-Brille: Zweiter Festivaltag. Wieder Sonne. Wieder bunte Outfits. Zu viel gute Laune. Wo sind die fallenden Mundwinkel, die grabestiefen Stirnfalten, die tiefschwarzen Kapuzenhöhlen und die dämonischen Fratzen inmitten leichenbemalter Gesichter? Fies beiseite, auch mich ergreift die positive Stimmung! Ich muss vor dem Gehörnten meine Beichte ablegen und gestehen, dass das SUMMER BREEZE mich wie ein Kirchenkreuz umgedreht hat – vom finster dreinblickenden Wald- zum lächelnden Festivalgänger. Verdammt!

Zurück zum Thema: Während Menschen rebellisch umgekippte Mülltonnen zu Sitzgelegenheiten umfunktionieren, feiern MR. HURLEY & DIE PULVERAFFEN auf der Hauptbühne die Piraterie und den Rum. Letzteren gibt es zwar nicht am Bierstand von Mönchshof, die dort Arbeitenden fühlen die seeräuberische Musik trotzdem so stark, dass sie eine spontane Polonaise machen.

Ich mache mich indes auf den Weg, den Campingplatz zu erkunden. Wie sieht es abseits von Bühnen und Ständen aus? Zwischen Regenbogen- und vielerlei anderen Flaggen überraschend geordnet und sauber. Schön, dass ihr die Mülltrennanlagen nutzt und euren Pfand spendet. Dafür ein herzliches Dankeschön!

Besonders auffällig sind die üppig ausgestatteten Camps mit riesigen Pavillons, Bierbänken, Kühltruhen und Kühlschränken – in einem steht sogar eine Bar samt Zapfanlage. Nächstes Jahr kommen wir auf ein Bierchen vorbei!

Das Wetter hält sich und die Stimmung siedet wie so mancher Schweißfilm – der Mann im Borat-Kostüm hat alles richtig gemacht. Ebenso die vielen Menschen, die Picknickdecken mit aufs Infield nehmen und sich eine schöne, gemütliche Zeit machen. Da wackeln auch die Fake-Ohren der FINNTROLL-Musiker verzückt.

Ganz andere Mucke hören wir auf der Wera Tool Rebel Stage. Wer sich fragt, welche Band hier brutalen Death Metal und Deathcore vermischt, findet die Antwort im Circlepit – dort hält jemand beim Rennen freundlicherweise ein Schild hoch, auf dem NECROTTED steht. Das braucht der Bassist von GUTRECTOMY so gar nicht – er surft gleich dreimal auf der Crowd zur Bühne und freut sich jedes Mal wie ein kleines Kind. Alle eine Familie!

Wenig später bebt das Hauptgelände. Ein Blick nach links: Menschen hüpfen und reißen die Hände hoch. Woanders flitzen welche zur Mainstage und machen unterwegs Liegestütze. Wieder andere tanzen ausgelassen, rennen umeinander herum und werfen Gegenstände durch die Gegend. Ah, ELECTRIC CALLBOY spielen! Und zwar bis ans hintere Ende des knallvollen Infields. (André Gabriel)

Die Ruhrpottbuben ELECTRIC CALLBOY treiben es ja in letzter Zeit bunter denn je, und das setzen sie alles auch auf der Bühne um: Inklusive Konfettikanonen, Feuerfontänen und vollständiger Eskalation auf und vor der Bühne. Man muss ja wirklich nicht alles bedingungslos abfeiern, aber hier darf man doch wirklich mal sein breitestes Grinsen aufsetzen.

Apropos Stilikonen (wie sie ELECTRIC CALLBOY mittlerweile sind): Wir stehen vor der T-Stage, wo CANNIBAL CORPSE und Frontmann Corpsegrinder Fisher gerade ohne Umschweife zur Sache kommen. Der trägt sein eigenes Antlitz heute als T-Shirt mit dem nachdenklichen Spruch „Respect The Neck“. Okay, läuft, denn erstens macht man dem bulligen Sänger beim Headbangen nichts vor, und zweitens war ich selbst heute beim Metal-Yoga.

Der Weg führt wieder zurück zur Main Stage, wo mit ARCH ENEMY der Headliner des heutigen Tages ansteht. Die Show ist gewohnt mächtig, einzig der einsetzende Regen trübt ein wenig die Freude. Gut, dass ich mich direkt ganz vorne in der Menge einreihe, wo – Achtung, Geheimtipp! – die Pyros eine wohlige Wärme verbreiten. Da kann das Wetter noch so schmuddelig sein. (Eckart Maronde)

Stimmung steigt, Pegel steigt, nur die Sonne ist untergegangen. Legen wir die Sonnenbrillen beiseite, wechseln auf Nachtmodus und genießen die besondere Atmosphäre eines ausklingenden Festivaltages. Das funktioniert so gut, weil wir noch zwei volle Tage vor uns haben.

Der Bursche am Philly-Cheese-Steak-Stand sollte allerdings gen Zelt wanken – im Gepäck den ersten Platz beim inoffiziellen „Betrunken essen“-Contest. Den Outfit-Wettbewerb gewinnt indes ein Zuschauer, der sich AVATAR in kompletter GHOST-Montur anschaut.

Für mich wird es Zeit, die T-Stage anzusteuern. Dort zocken DER WEG EINER FREIHEIT ihren mitreißenden Post Black Metal in den Nachthimmel – vor schöner Baumkulisse wohlgemerkt. Da haben wir sie wieder, die liebgewonnene Abwechslung des SUMMER BREEZE: Kirmes-Stimmung bei AVATAR, Melancholie mit DER WEG EINER FREIHEIT und Konserven-Hits vor der Ficken Stage.

DARK TRANQUILLITY besetzen heute den finalen Mainstage-Slot. Wer zu so später Stunde – und das sind einige – noch dabei ist, verliert sich in den träumerischen Stücken und im dankenswerten Dauergrinsen sowie den positiven Vibes von Mikael Stanne.

Hatte ich schon erwähnt, dass das BREEZE von großartigen Kontrasten lebt? Kurz nach dem Gig läuft am Ficken-Stand „Fledermausland“ von TRAILERPARK. (André Gabriel)

DANGERFACE (12:20 Uhr, WTS)

Für die Norweger war es die erste Show in Deutschland und erst die zweite außerhalb ihres Heimatlandes. Wohl aufgrund der sehr unchristlichen Uhrzeit (kurz nach 12 Uhr mittags, also quasi mitten in der Nacht für den durchschnittlichen Festivalbesucher) war zumindest zu Anfang ihres Auftritts nicht gar so viel los vor der Wera Tool Stage – das sollte sich aber zügig ändern. Sänger Michael Myklebust tänzelte schon vor Anpfiff an der Seitenlinie und wirkte in seinem kurzen roten Turnhöschen auch eher, als würde er zum Sport wollen. Sobald der Stagemanager dann aber den Startschuss und somit die Bühne frei gab, explodierte die gesamte Band förmlich und stand die folgende halbe Stunde quasi nicht mehr still. Stilistisch wäre Punk meets KVELERTAK eine recht gute Einordnung und das schmeckte auch mehr und mehr Leuten im Publikum, wer da zufällig vorbei kam blieb bis zum Schluss begeistert dabei. (Tom)

CONJURER (13:45 Uhr, WTS)

Was folgte war wie ein unerwarteter Schlag in die Magengrube. Schlichtes, schwarzes Backdrop mit dem Schriftzug, die Musiker fast komplett in schwarz, farblich setzte nur der Bassist mit seinem blauen Instrument einen kleinen Farb-Akzent. Die vier Briten entfesselten ein wahres Inferno aus derben Screams und fiesem Gebolze, sorgten mit immer wieder eingestreuten ruhig-atmosphärischen Passagen immer wieder für Kontrast, so dass einen die nächste Eruption nur noch intensiver umblies. Soundmäßig wie eine Mischung aus frühen GOJIRA und THE DILLINGER ESCAPE PLAN mit einem Schuss CULT OF LUNA. Und dabei agierten die Jungs so leidenschaftlich, dass man hätte denken können, dass ihnen der Teufel persönlich im Nacken säße. Und im Vergleich zu seinen ohnehin schon sehr engagierten Bandkollegen, schoss der Bassist in Sachen Bühnenaction absolut den Vogel ab. Der Mann hat sich doch bestimmt von so nem verschlagenen chinesischen Wissenschaftler einen Gummi-Nacken einbauen lassen, so derbe kann doch niemand am Stück headbangen und moshen… Beim abschließenden Song setzte er dank Sendeanlage wie ein Derwisch über die Bühnenabsperrung und wirbelte mit der begeisterten Meute mächtig Staub im Pit auf. Bestimmt nicht nur für mich eine der absoluten Neuentdeckungen des Festivals! (Tom)

GUTALAX (14:20 Uhr, TS)

GUTALAX waren auf dem SUMMER BREEZE 2019 eine der Überraschungen, als sie die den Platz vor der Wera Tool Rebel Stage in ein einziges Tollhaus verwandelt haben. Jetzt spielen die Tschechen auf der T-Stage, und da stellt sich die Frage, ob ihre Mischung aus Musik und Happening auch auf einer größeren Bühne funktioniert. Diese Frage erübrigt sich spätestens, als die ersten Fangruppen in Richtung Bühne ziehen – zu erkennen an den weißen Ganzkörperanzügen, den Klorollen und –bürsten in der Hand und ab und zu einem Pömpel auf der Glatze. Als dann „Celebration“ von COOL & THE GANG als Intro erschallt und die ersten Fans in tänzelnde Bewegungen einsteigen, ist klar: Das wird wieder ein Heimspiel!

Die Bandmitglieder betreten in ihrer Rolle als „Shitbusters“ die Bühne, schlagen die ersten Akkorde an, und schon kommt Bewegung in die Menge. Wer die Musik nicht kennt: Das ist grundsätzlich Goregrind, nur mit Texten, die sich ausschließlich um Fäkalien drehen: „Popcorn“ wird da zu „Poopcorn“ und aus der „Toy Story“ eine „Toi Toi Story“. Aber was heißt schon Texte – die gibt es ja eigentlich nicht. Sänger Maty macht in unterschiedlichen Phrasierungen Töne, die er mit bedeutungsschweren Gesten unterlegt. Wer da nicht ein fettes Grinsen in den Backen hat…

… der befindet sich entweder mitten im Getümmel oder auf dem Weg nach gaaanz weit weg. Ganz klar: Die Menge feiert GUTALAX, sich selbst und den „Diarrhero“. Dass es in diesem Gewusel aus nach oben gereckten Schwimmnudeln und aufblasbaren Gummitieren und einem stetigen Dauerfeuer von Klorollen auch Crowdsurfer bis nach vorne schaffen, grenzt schon an ein Wunder. Dass dann sogar ein Rollifahrer mit festgeklebter Gummipuppe durchgereicht wird, ist eine reife Leistung. Das gilt auch für die Musik der Tschechen: Zum Goregrind wird noch ein Schippchen Eurodance gereicht: Denn wer will schon bestreiten, dass es sich zu den Songs auch vorzüglich tanzen lässt. Oder eben eine Wall Of Death zelebrieren. Also: Wer nicht frühzeitig geflohen ist, dürfte auch nach einiger Zeit noch von diesem Konzert schwärmen – oder zumindest den merkwürdigen „Gesang“ imitieren.

Mehr Infos zu Gutalax

SEASONS IN BLACK (15:10 Uhr, WTS)

Lucki Maurer ist einfach ein uriger Typ. Manch einer mag sich verwundert die Augen gerieben haben, als er den prominenten Fernsehkoch samt Bass am Mikro auftauchen sah, aber genauso leidenschaftlich wie er sich seit Jahren mit dem Kochen und seinen Wagyu-Rindern beschäftigt, ist er eben auch Metalhead durch und durch – und das merkte man ihm und seiner Band SEASONS IN BLACK auch deutlich an. Nach dem immer wieder gern genommenen „O Fortuna“-Intro aus Carmina Burana, bretterten die Niederbayern in bester PANTERA-Manier los. Blickfang neben Lucki Maurer war auf jeden Fall der im Anzug angetretene Keyboarder, der auch Gesang beisteuerte. „Ich hab mir lang überlegt, was ich als erstes sagen soll… Kruzifix is des geil!“ – der Fronter war selig, seine Metal-Leidenschaft mit seiner Band mit der begeisterten Meute vor der Bühne teilen zu können und ließ sich von seinem Team die ein oder andere Weißwein Schorle reichen – bei der Hitze muss man ja stetig Flüssigkeit nachfüllen! (Tom)

BEAST IN BLACK (16:10 Uhr, MS)

Im Wettbewerb um die schrägsten Gitarrendesigns spielen BEAST IN BLACK ganz weit vorne mit. Während Bassist Mate Molnar an einem Teufel herumzupft, der seinen Kochlöffel etwas zu tief in seinen Hexenkessel gesteckt hat, überzeugt Gitarrist Kasperi Heikkinen mit einem Instrument, dessen klassische Form einen krassen Gegensatz zur Augenkrebs-Lackierung in neongrün und magenta bildet. Immerhin passt die schrille Farbkombination zum Cyberpunk-Thema ihres dritten Albums „Dark Connection“ und schlägt damit eine Brücke über den Retro-Futurismus in die 80er Jahre, jenes Jahrzehnt, in dem auch BEAST IN BLACK tiefe Wurzeln geschlagen haben. Old-Schooliger lässt sich traditioneller Metal kaum spielen, ohne altbacken zu wirken. Und so besteht auch die Menge vor der Bühne zu einem beträchtlichen Teil aus Jungvolk auf dem Nostalgie-Trip, das von der routiniert aufspielenden Band gut unterhalten wird.

Leider hat Sänger Yannis Papadopoulos heute keinen richtig guten Tag erwischt und wirkt gerade in den höheren Passagen etwas schwach auf der Brust. Vielleicht braucht es deshalb heute etwas länger, bis der Funke bei den Fans überspringt. Die Grabenschlampen wirken zeitweise dermaßen unterfordert, dass sie schon selbst das Crowdsurfen anfangen. Mit „One Night In Tokyo“ reißen BEAST IN BLACK das Ruder jedoch noch einmal komplett herum und bringen die Menge mit stampfenden Disco-Beats zum Tanzen. So bringt die Band ihre Show routiniert zu Ende und schafft es beim Abschlussstück „End Of The World“ sogar, einen veritablen Circle-Pit loszutreten. (Florian Schörg)

FINNTROLL (17:40 Uhr, MS)

Zum wiederholten Male am heutigen Freitagnachmittag wird es vor der Main Stage brechend voll. Diesmal sind es die finnischen Humppa-Metaller FINNTROLL, welche eine ordentliche Schar an interessierten Zuschauern vor die Bühne gelockt haben. Rein körperlich nicht die Allergrößten, aber dafür mindestens doppelt so energiegeladen startet der Fünfer, der nur noch im Studio Keyboards verwendet, in das heutige Set und eröffnet mit schwarzmetallischem Blastbeat-Gewitter. Doch die Jungs haben noch einiges mehr zu bieten und präsentieren im weiteren Verlauf tanzbare Hymnen, vom Publikum aufgegriffene Sing-Alongs und groovige Arrangements. Sänger Vreth betont, dass man eigentlich schon im Jahr 2020 auftreten wollte, um das neue Album „Vredesvävd“ zu bewerben. Seis drum. FINNTROLL sind jetzt da und zeigen größten Einsatz. Fun Fact: Switcht die Kamera hinter das Schlagzeug, erinnert Drummer MörkÖ mit seinen aufgeklebten Trollohren im Schattenwurf an Dobby aus den Harry Potter Filmen. In Action wirken FINNTROLL hingegen wie die perfekte Symbiose aus Professionalität und einem unterdrückten Live-Drang, den man in den letzten zwei Jahren immer wieder zurückstellen musste. (Patrick Olbrich)

NECROTTED (18:00 Uhr, WTS)

Ein Festival findet ja nicht einfach irgendwo im neutralen Raum statt, es hat auch weitreichende und konkrete Auswirkungen auf die Musikszene vor Ort und prägt neue Generationen von jungen, nachkommenden Metalfans. Stelle man sich vor, dass es NECROTTED mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht geben würde, wenn im Dörfle nicht irgendwann eine Hand voll Knirpse beschlossen hätten eine Metal-Band zu gründen, so liegt es nur nahe, dass der Fünfer aus Abtsgmünd die heimischen Bühnen nach dieser langen Pause endlich wieder mit ihrem Superperforator-Einzug beehrt. Aber sie waren ja nicht untätig und haben auch nichts verlernt, unsere BREEZE-Flip-Flop-Träger (mit Socken!): Sie haben die Zwangspause bis zuletzt genutzt und „Operation: Mental Castration“ geschrieben, welches inzwischen auch veröffentlicht und teilweise mit Videos garniert wurde. Und das zahlt sich aus, denn die 30 Minuten Spielzeit vergehen wie im Flug und insbesondere „Compulsory Consumption“ geht ab wie Zunder. Es fliegen selbst gemalte NECROTTED-Schilder, Hüte, Stagediver und die Liebesbekundungen von einem auf die Bühne gekommenen Thomas enden in einem angenommenen Heiratsantrag (Herzlichen Glückwunsch zur Verlobung übrigens!) und alle sind glücklich und froh, dies alles wieder miteinander erleben zu können. (Tamara Deibler)

ELECTRIC CALLBOY (19:10 Uhr, MS)

Um 19:10 Uhr heißt es pünktlich die Trainingsanzüge festgezurrt und das neonfarbene Stirnband angelegt. Mit “Pump It” treten die CALLBOYS auf den Plan, pumpen eine Konfetti-Welle in die Menge und treten eine irre Party los. Irre weil: irre viel los, irre viel Eskalation und irre Eigendynamik. Soll heißen, vor der Bühne ja sowie, aber auch auf der Bühne wird mehr als stabil gefeiert. Spätestens bei “Hypa Hypa” erwischt es stimmungsmäßig wahrscheinlich auch den hinterletzten Dödel an der (Ayran Maiden?) Dönerbude, während ein Dödel gerade -mehr freiliegend als versteckt- an mir vorbei wandert. Crowdsurfer in knackigen (aka. zeigefreudigen) Spandex-Einteilern sind was Feines und hier keine Seltenheit. Neben hotten, knappen Bekleidungen trifft man hier in der ELECTRIC CALLBOY- Menge aber auch auf Pokemons, Giraffen und Perückenträger. Wirkt alles ein bisschen wie Karneval gerade. Ist herrlich bunt und macht erstaunlich viel Bock. Die CALLBOY-Sause lässt mit “Fuckboi” und “Spaceman” natürlich nichts aus. Und während die Grabenschlampen hart am Kämpfen sind, die heransausenden Crowdsurfer in die starken Arme zu schließen, lässt sich “TV-Total” -Moderator Sebastian Pufpaff auf der Bühne blicken. Ok, Pufpaff sieht in seinem “Festival-Outfit” eher so aus, als hätte Mutti ihm die Klamotten für diesen Anlass herausgesucht, aber gut. “We Got The Moves” lässt den Hexenkessel nochmal brodeln. Dann noch einmal Konfettikanone und ein bisschen Feuerfontäne, dann solls das für heute aber auch gewesen sein. Absoluter Wahnsinn, wirklich. Wie wahnsinnig zeigt mir die Blondine auf ihrem Messgerät, welches für die Grabenschlampen die Anzahl der Crowdsurfer zählt. In Summe weit über 1.600 Menschen, die während eines 80-minütigen Sets von der Menge gefischt wurden. Respekt geht an die Adresse ELECTRIC CALLBOYS. (Jeanette Grönecke-Preuss)

People Of SUMMER BREEZE

Metal ist Leidenschaft und das drückt sich dann schon auch mal in einer besonderen Beziehung zur jeweiligen Lieblingsband aus. Ihr kennt Eure Lieblingsband schon seit Ewigkeiten, als sie noch keinen Plattenvertrag hatten und in kleinen Clubs ihr Demo vertickt haben? Ihr besucht schon seit Jahren treu ihre Shows? Wie oft habt Ihr Eure Lieblingsband schon live gesehen? Fünf Mal? Über zehn Mal? Über 20 Mal? Der wie ein Honigkuchenpferd strahlende Kerl neben George „Corpsegrinder“ Fisher ist Gerd. Letzte Woche war Gerd auf dem PartySan um CANNIBAL CORPSE zu sehen, ein paar Wochen vorher war Gerd in New York um CANNIBAL CORPSE zu sehen und hier bei uns auf dem SUMMER BREEZE hat er die Band zum sage und schreibe 54. (in Worten: vierundfünfzigsten!) Mal live gesehen. Wir haben ihm also ermöglicht seine Helden vom Bühnenrand aus zu erleben und noch das ein oder andere Erinnerungsfoto zu schießen. Hammer Story, oder?

CANNIBAL CORPSE (20:30 Uhr, TS)

Vom Bandnamen bis zum Artwork richtig heftig, ansonsten mega sympathisch: Das sind CANNIBAL CORPSE. Und die Amis legen sofort zum amtlichen Abriss los. George „Corpsegrinder“ Fisher (im kultigem „Respect The Neck-Shirt), der Mann mit den Nackenmuskeln, auf die selbst Chuck Norris neidisch ist, nickt sogar zu „Hey“-Rufen aus dem Publikum – hier ist das Bangen wirklich in Fleisch und Blut übergegangen. Der Sound spielt mit und verleiht den mal rasanten, mal im mittleren Tempo gehaltenen Death Metal-Attacken mächtig Druck. Das animiert: Menschen werden rücklings auf hunderten Händen vorbei am Pit zur Stage transportiert und rasten an allen Ecken und Enden aus. Apropos Pit: Wenn im Lichtkegel der Bühnenbeleuchtung der aufgewirbelte Staub in die Dämmerung steigt, kommt mächtig Festival-Feeling auf! Dass auch eine Mülltonne über die Crowd surft, hat nichts mit der Musik zu tun. CANNIBAL CORPSE wollen abliefern und konzentrieren sich auf Songs; darunter auch „Fucked With A Knife“, den der Fronter gewohnt charmant den Ladys widmet. Wenn es einen Kritikpunkt gibt, dann sind es die teils abgegriffenen Ansagen. Der Rest ist einmal mehr eine Lehrstunde in extra brutalem Todesblei. (André Gabriel)

ARCH ENEMY (21:15 Uhr, MS)

Seit ihrem Debut auf unserem Festival im Jahr 2008 Mal übernehmen ARCH ENEMY die Main Stage zum insgesamt sechsten Mal und die Zuschauer stehen bis weit hinter den Gastro-Stände-Horizont und trotzen in der Dunkelheit unter Alissa White-Gluz‘ „Are you ready to have some fun?“-Rückfrage dem stetig prasselnden Regen.

Mit dem brandneuen Album „Deceivers“ im Schlepptau wird nach dem Opener „The World Is Yours“ die Werbetrommel für den besagten Silberling gerührt und angekündigt, dass die Setlist des Abends hauptsächlich aus neuen Stücken bestehen wird. Doch auch die Vergangenheit von ARCH ENEMY lässt sich nicht lange bitten und bildet mit den jüngsten Werken einen gelungenen musikalischen Querschnitt durch die letzten 24 Jahre ihres Schaffens. Bereits zu „Deceiver, Deceiver“ kreisen die ersten Circlepits und zum Sound- und Lichtgewitter lassen sich auch richtige Blitze am Himmel sichten. Klassiker wie „Ravenous“, „Dead Eyes See No Future“ und „No Gods, No Masters“ gehen Hand in Hand mit neuen Songs wie „Deceiver, Deceiver“, „The Watcher“, „Handshake With Hell“ und „House of Mirrors“ und obwohl das „Deceivers“ noch keine Woche alt ist, können die Fans schon lauthals mitsingen. Das Sound-Gewitter wird durch eine fulminante Lichtshow unterstrichen und die Choreografie sitzt von der ersten bis zur letzten Minute. Wer wann wohin auf die Bühne oder über den Bühnenrand hinaus geht, wann alle zusammenstehen – man spürt, dass ARCH ENEMY nichts an ihren Shows dem Zufall überlassen. Und auch Alissas Stimme scheint noch eine Spur stärker geworden zu sein, sofern das bei derart viel Action auf der Bühne überhaupt möglich ist. Aber wem machen wir etwas vor: Die Gitarristen Michael Amott und Jeff Loomis sind schon eine Liga für sich, aber zusammen bilden sie eine derart starke Riff-Front, vor der wohl kein Nacken im Publikum gefeit war; und die Harmonie, die zwischen den beiden entsteht, ist über allen Maßen beeindruckend.

Eine Urgewalt ist losgetreten, ARCH ENEMY präsentieren sich stärker denn je, Dinkelsbühl steht unter Strom und noch während der letzte Ton von „Nemesis“ übers Gelände hallt, sieht man, wie Alissa und Michael mit einem breiten Grinsen über die applaudierenden Menschenmassen blicken. Ja, wir haben euch auch vermisst… (Tamara Deibler)

AVATAR (23:25 Uhr, MS)

Obwohl AVATAR heute auf der großen Main Stage spielen dürfen, eröffnen sie ihre Show als intimes Kammerkonzert. Die Musiker stehen dicht beieinander am vorderen Bühnenrand und geben den Opener „Colossus“ mit reduziertem Instrumentarium zum Besten. Passend dazu tummeln sich auch die Fans allesamt dicht vor der Bühne, um die volle audiovisuelle Pracht der Show in sich aufzusaugen. Die theatralische Inszenierung ist bis ins kleinste Detail durchdacht und verschmilzt zu einem runden Gesamtkonzept, das sich mit seiner gruselig angehauchten Jahrmarktsatmosphäre fundamental von allen anderen Bands des Festivals unterscheidet. Stilistisch lassen sich AVATAR kaum festnageln. Nach dem bewusst minimalistisch gehaltenen Start gehen sie mit ihrem schrägen Mix aus Düsterrock, Horror-Punk, psychedelischen Seventies-Klängen und sogar vereinzelten Death und Black Metal-Anleihen in die Vollen. Leicht verdaulich ist das nicht, spannend aber allemal. So bleibt mancher, der vorbeigekommen ist, um nur mal eben kurz reinzuschauen, doch andächtig stehen und sieht sich die Show bis zum bittersüßen Ende an. Als AVATAR schließlich die Bühne für ihre Landsmänner von DARK TRANQUILLITY räumen, ist es doch merklich voller geworden als noch zu Beginn der Show. (Florian Schörg)

DER WEG EINER FREIHEIT (00:20 Uhr, TS)

Im Vorfeld der heutigen Nachtshow von DER WEG EINER FREIHEIT waren es wahrscheinlich nicht nur die interessierten Zuschauer, sondern durch die Stimme von Bandkopf Nikita Kamprad auch die Truppe selbst, die sich über den zur musikalischen Darbietung passenden Slot freute. Nachdem die Würzburger im Jahr 2017 ihren atmosphärischen Black Metal noch bei Tageslicht ins Publikum brachten, fügt sich diesmal ein passendes Gesamtbild vor der T-Stage. Routiniert und hochmotiviert schleudern die beinahe Lokalmatadoren ihre überlangen Stücke in die Menge und werden mit fliegenden Haaren und gereckten Fäusten unterstützt. Auch das 2021-Werk „Noktvrn“, welches noch nicht den Weg in eine größere Meute gefunden hat, wird dabei entsprechend berücksichtigt. Phänomenal dabei immer wieder das ultratighte und gleichsam vor musikalischem Gefühl strotzende Schlagzeugspiel von Tobias Schuler. Nach einer großartigen Stunde zwischen sphärischen Gitarrenriffs, melancholischen Momenten und insgesamt schlichtweg herausragender Atmosphäre entließen die Bayern massenhaft glücklich grinsende Gesichter in die Nacht. (Patrick Olbrich)

DARK TRAQUILLITY (01:00 Uhr, MS)

Pünktlich um ein Uhr nachts betreten die schwedischen Melodic Death Metaller DARK TRANQUILLITY die Main Stage. Jetzt gilt es noch einmal dem Publikum die letzten noch verbliebenen Kraftreserven zu entlocken und alles zu geben. Schon beim dräuenden Intro wird klar: Die Band setzt nicht nur auf Interaktion mit dem Publikum, sondern auch auf eine optische Komponente, denn während der Songs laufen ständig Animationen und Videos im Hintergrund. Zunächst gilt es aber, die neuen Bandmitglieder zu sortieren: Vier der sechs Mitglieder sind seit 2020 neu hinzugekommen, einzig mit Martin Brändström an den Keyboards und Frontmann Mikael Stanne sieht man vertraute Gesichter. Vertraut sind aber die Songs, wie „Monochromatic Stains“, „Where Death Is Most Alive“ oder „Lost To Apathy“, die auch von den neuen Mitgliedern gewohnt souverän und filigran runtergezockt werden. Im Mittelpunkt steht aber immer wieder Sänger Mikael Stanne, der nicht nur mit seinem Klargesang sondern auch den Growls gut bei Stimme ist. Er schätzt auch die Stimmung im Publikum ganz richtig ein („I feel old school vibes, is that correct?!“) – woraufhin die Band mit „Final Resistance“ einen ihrer größten Kracher raushaut. Mit fortschreitender Dauer merkt man ihm aber immer mehr seine Ergriffenheit an, nach zwei „elenden Jahren“ wieder bei so einem großen Festival auf der Bühne stehen und den Fans in die Gesichter sehen zu können. Und ja, da sind sogar Tränen in seinen Augenwinkeln. Der Mann ist einfach grundsympathisch und ehrlich. Also: Das, was DARK TRANQUILLITY hier abliefern, ist ein mitreißendes Konzert einer tollen, perfekt eingespielten Band. Und wer bis zum Ende ausgeharrt hat (wir sprechen hier von nachtschlafender Zeit), wird mit einem tollen Erlebnis vor die T-Stage oder gleich in die Buntkarierten geschickt. (Eckart Maronde)

Impressionen 2022